Die erste umfassende Darstellung des taiwanischen Künstlers Yao Jui-Chung
Als ich das erste Mail den Innenhof des C-Lab betrat, ein angesagtes Kulturzentrum in Taipei, musste ich lachen: olivgrüne, aufblasbare Panzer standen vor einem Mann, da mokierte sich einer offensichtlich über die aufgeblasene Machtdemonstration auf dem Platz des Himmlischen Friedens am 4. Juni 1989 oder überhaupt über Macht wie z.B. der einstigen Militärdiktatur Taiwans, denn das Kulturzentrum war früher Hauptquartier der Luftwaffe. Und so ging ich weiter durch Räume, in denen auf Gold grundierten Gemälden gefurzt wurde, verschlungene Körper fluchten oder Weltfrieden heraufbeschwörten. Das war 2020, unversehens war ich in eine Ausstellung von Künstlern geraten, denen nichts heilig war – die Vielfalt nicht nur der Themen, auch der Medien war stupend.
Erst als ich im Frühjahr 2023 den Katalog eines Künstler aus Taiwan in Händen hielt, weil mich ein Schweizer Verlag per Newsletter darauf hingewiesen hatte, begriff ich, dass die Kunstwerke, die ich damals in den über dem ganzen Gelände verstreuten Gebäuden sah, alle von einem einzigen Künstler stammten: Yao Jui-Chung. Ich musste wieder lachen und blätterte very amused in dieser Gesamtschau.
Von Schatten befreien
Yao Jui-Chung, 1969 geboren in Taipei, hinterfragt gängige Kunstformen und Normen, stellt sie buchstäblich auf den Kopf, zieht ihnen in seinen Peformances den Boden unter den Füßen – nimmt alles auseinander und setzt es wieder neu zusammen; aus dem Schatten der Vergangenheit holt er Unterdrücktes hervor und besteht damit gleichsam darauf, dass Taiwan mit seiner Geschichte und Kultur einen eigenen Platz in der Welt erhält. Zudem pocht er darauf, dass man zuerst ein Bewusstsein dafür entwickeln müsse für die Beziehung der Menschen untereinander, zur Umwelt, zur Welt im Allgemeinen, bevor man seine eigene Identität definieren könne – ein Thema, das viele Taiwaner:innen umtreibt.
Yao selbst, so schreibt es die Kuratorin und Herausgeberin Sophie McIntrye, habe eine „mixed heritage“: die Mutter Taiwanerin, der Vater war aus Changzhou (China) und mit den Truppen der Kuomintang-Nationalisten vor den Kommunisten nach Taiwan geflohen. Yao selbst gehörte zur letzten Generation, die noch unter der Kuomintang (KMT) zur Schule ging, als auf den Lehrplänen ausschließlich chinesische Geschichte und Geografie stand, und wenn sie in der Schule Taiwanisch sprachen, mussten sie dem Lehrer dafür einen Taiwan Dollar bezahlen. (vgl. S. 10) Auch im Studium wurde ausschließlich die antike und moderne chinesische Kunst bis zur Gründung der Volksrepublik China im Jahr 1949 vermittelt. Bald gab er diese Art der Malerei auf, die er als viel zu traditionell empfand, widmete sich der Fotografie, die ihm geeigneter schien, die Entfremdung in der Gesellschaft zu entlarven. Anfang der neunziger Jahre gründete er zusammen mit Kommilitonen eine Theatergruppe, und schon bald stand die Performance im Mittelpunkt seiner künstlerischen Auseinandersetzung, ja, bis heute gilt er als Pionier der Performance-Szene Taiwans.
Ruinen und Zerfall – buddhistisch gedeutet
Die Welt der Kunstakademie wurde ihm Yao bald zu eng, er reiste durch Taiwan und fotografierte verlassene Gebäude. In der schwarz-weiß-Serie Roaming Around the Ruins (1993) zeigt Yao betonierte Affen hinter einem verlassenen Hotel, zerlegte Dinosauriere in einem Freizeitpark, zerbröckelnde Militärbunker, überdimensionale Buddhafiguren auf Autofriedhöfen, sich selbst überlassene Fabriken, weil es günstiger geworden war, in China zu produzieren. Doch anders, als ich sie verstanden hatte, nämlich als Kritik an sinnloser Umweltzerstörung angesichts eines raffgierigen und zerstörerischen Kapitalismus, zielt Yao darauf ab, mit diesen Ruinen auf den Kreislauf des Lebens, die Unvermeidbarkeit von Leben und Tod, die Wiedergeburt hinzuweisen, ganz im buddhistischen Sinne. „Obwohl unsere kurze Anwesenheit auf dieser Welt von Verfall begleitet wird, sind diese stillen Ruinen Symbol für ein kontinuierliches Gebären und Sterben.“ (S.17) Seine Fotografien sind wie Spiegel, in denen man mit dem eigenen Schatten konfrontiert wird. Über einen Zeitraum von 20 Jahren entwickelte Yao diese Serie, darauf folgte mit Mirage – Disused Public Property in Taiwan (2012-20) eine weitere Serie mit Bauruinen: einige waren gebaut worden, um Wahlversprechungen zu erfüllen, andere bezeugen den sorglosen Umgang der Behörden mit der Ressource Umwelt, mit Land oder einfach mit öffentlichen Geldern. „Moskito Hallen“ werden sie genannt, weil nur Moskitos darin leben können.
In Territory Takeover (1994) arbeitet Yao das erste Mal exzessiv mit Gold: sechs sepiafarbene Fotografien, auf denen ein nackter Mann uriniert, sind über sechs goldenen Kindertoiletten angebracht: Taiwans Geschichte, so Sophie McIntrye, sei für den Künstler nicht history, sondern shitory (Kot und Geschichte sind im Chinesischen Homophone). Gold bedeutet Reichtum und Glück, doch „für mich ist Gold wie Kot. Sobald Geschichte und auch Kunst für Macht und Geld instrumentalisiert werde, sei sie nichts mehr wert, so Yao. (vgl. S. 32)
Der Durchbruch kam mit 28, als Yao zur Biennale nach Venedig eingeladen wurde – beachtlich, da Taiwan als Land nicht international anerkannt ist. Eine Einladung folgte auf die andere, 1997 entstand die Serie Beyond The Blue Sky: Hier wird in allen erdenklichen Formen gefurzt. Sophie McIntrye deutete dies daoistisch im Sinne von: Loslassen. Bis der Künstler während eines Seminars erklärte, er habe während seine Aufenthalts in San Francisco an Verstopfung gelitten, der Anus sei im Mittelpunkt seines Lebens und eben dann auch seiner Bilder gestanden.
Gold und Geld
Dekolonialisierung der traditionellen chinesischen Tuschmalerei, den taiwanischen „Funky Local Style“ zurückgewinnen, lautet eine Zwischenüberschrift in diesem Katalog – ein Motto, das bis heute Yaos Kunst prägt, wie auch die Ausstellung im August 2023 in Taipei zeigte. Figuren in traditionell gekleideten Gewändern treiben über pinkfarbene Gewässer, sitzen vor Computern – oftmals sind diese Szenen in Gold getaucht, oder es tauchen goldene Einsprengsel in Bambuswäldern auf. In einem Gespräch mit dem chinesischen Künstler Hou Hanru erklärt er die Verwendung von Gold mit seiner Affinität zur Tempelästhetik, so wie seine ganze Kunst von der Tempelarchitektur inspiriert sei. (S.64) Yaos neuere Arbeiten versteht er als Satire auf die traditionelle chinesische Gelehrtenmalerei; er male diese Pseudolandschaften auch, um die Absurdität traditioneller ästhetischer Normen herauszufordern. Alles, was falsch und heuchlerisch ist, fordert Yao heraus mit frechen Bildern. Nicht zuletzt mit seiner jüngsten Arbeit „Altar Space“, in der er den Hype um Kryptowährungen mit der Wahrsagerei in einem Tempel überblendet, denn: Für Reichtum zu beten ist für Tempelgänger schließlich so selbstverständlich wie für Krypto-Spekulanten.
Yao, so steht es in der Erklärung zu dieser Arbeit, zeigt sich auch hier einmal mehr als ewiger Skeptiker und Zyniker, der sich über jene lustig macht, die zwar die Wissenschaft ernst nehmen, aber an globale Märkte glauben und Götter, wenn der Erfolg lockt.