Lektürenotiz zu Anchises in Alaska. Ein Vaterbuch in Versen. Außergewöhnlich, wie Florian Bissigs versucht, das zerfledderte Leben – das sich auch typografisch in aufgelösten Zeilen mit Leerstellen spiegelt – eines Mannes, eines Vaters, zusammenzusetzen, damit sich zumindest ein Bild nach dessen Tod ergibt, wenn schon zu Lebzeiten ein solches verweigert wurde. Denn die „Kunst abwesender […]
Alle Artikel mit dem Schlagwort ‘Rezension’
Wenn die Sonne nicht mehr scheint
Es war während der Hundstage, am sechsten Tag des sechsten Monats. Es war so heiß, dass Menschen starben und der Bestattungladen im Dorf alle seine Totengewänder verkaufte, alle Trauerkränze, das ganze Flittergold. Denn die Menschen hatten wieder einmal den ganzen Tag lang gackert, sie arbeiteten wie blöd, um dem Unwetter zuvorzukommen, das die Arbeit eines […]
Fragen …
… wenn sie nicht gestellt werden, ist es irgendwann zu spät. Das habe ich gemerkt, als ich nach zwei Lesungen rund um das Buch Fragen hätte ich noch. Geschichten von unseren Großeltern bei meinen Tanten und Onkels nachgefragt habe. Wie war das damals genau? Welche Parole hat im nächtlichen Waldspaziergang welches Leben gerettet? Wann kam […]
Und wenn es nicht klappt?
Game over: Auf den Spuren der Flüchtenden aus Afghanistan „Games“, so erklärte es Ziya, eine der fünf Personen, die aus Afghanistan in die Schweiz flüchten, „nennt man die Versuche, über eine Grenze zu kommen. Nicht im Sinne eines Spiels, aber im Sinn von ’sein Schicksal testen‘. Man kann ein Game gewinnen, aber auch verlieren. Manche […]
Kalkutta liegt am Ganges …
… und in Bordellen geht es selten lustig zu. Eine Lektürenotiz. Eine junge Frau wird ermordet, so weit so nicht gut; der Polizei ist das herzlich egal. Doch die streitbaren Prostituierten unter der herrschsüchtigen Madame wehren sich; vor allem Lale. Auch wenn die ein Leben lang nichts zu lachen hatte und als Mädchen an ein […]
Blau, lichtblau, nachtblau vielleicht
Gibt es im deutschsprachigen Raum einen Roman über die Gezi-Proteste in Istanbul, einen, der so hineinkriecht in die gesellschaftlichen Verästelungen der Nach-Gezi-Zeit? Wer, wenn nicht die Türkisch-Übersetzerin Sabine Adatepe könnte darüber so anschaulich schreiben? Zwar war sie nicht selbst dabei, gab aber eine Gezi-Anthologie heraus. Wie es nun zum Roman Lichtblau #Mavi kam, erzählt sie […]
Zwischen Himmel und Meer
Eine Lektürenotiz Einen Eindruck von der Bandbreite mündlicher und schriftlicher Literatur Taiwans will diese knapp 550 Seiten schwere Anthologie vermitteln – und Thilo Diefenbach, der Herausgeber, hat, so scheint es, dafür alles aufgenommen, was er zwischen Himmel und Meer gefunden hat, nämlich sage und schreibe 101 Werke: 63 Gedichte, 15 Erzählungen, 13 Essays, 9 Legenden […]
Sehnsucht nach Leben …
… nach dem Tod, eine Gier bis zum Ende. So schreibt Christine Lavant, schreibt, wie sie gelebt hat, widerständig bis zum Schluss. Da mag das Leben noch so garstig mit ihr sein, sie trotzt der Forderung nach Unterwerfung und Demut ebenso wie dem Kleingeist der Gesellschaft. Nun liegt ein neuer Band mit ihren Gedichten vor, […]
Schreibstrom hinter Gittern
Das Lebensthema des Lyrikers Ernst S. Steffen war Ankommen – wen wundert’s, wenn einer ein halbes Leben hinter Gittern verbrachte? Im Gefängnis war er zu feinsten Beobachtungen und Regungen fähig, stets begleitet und angetrieben vom Gefühl, zwischen Stuhl und Bank gefallen sein: „Ich vermute, ich bin nur provisorisch gemeint“, schrieb er in einem Gedicht, „irgendwann […]
In die Hügel, dem Wasser lauschen
„Mein Leben fühlt sich leicht an“, schreibt der japanische Haiku-Dichter Matsuo Bashô (1644–1694); es braucht wenig mehr als eine spartanische Hütte, so der Laienmönch Kamo no Chômei (1153–1216). Und Bai Juyi (772–846), einer der bedeutendsten Dichter der chinesischen Tang-Zeit, betrachtet die Felsen und Wolken wie ein Wunder ohne Ende. Ihnen gemeinsam ist der Rückzug aus […]