Lektürenotiz zu einem Bergroman. In Robert Prossers jüngstem Roman wird viel zugeschüttet, entgleitet, driftet ab.
Die Kusine des Protagonisten Xaver und deren Freund werden von einer Lawine erfasst, sie wird gefunden, nach ihm wird noch immer gesucht. Zähes Misstrauen legt sich über das Dorf: Wer ist schuld? Aus Xavers Familie kann ja nichts Gutes kommen, sagt die Mutter des vermissten Jungen, als sie Xaver einmal auflauert. Und ja, die blutig-fleischigen Schlachtszenen am Anfang könnten diesen Verdacht aufkommen lassen, doch bei der Beschreibung und überhaupt beim Lesen des Romans merkt man schnell, dass es um etwas anderes geht als um Offensichtlichkeiten. Zum Beispiel um Glück, wenn Xaver und sein Freund Flo, der von einem Pilztrip nicht mehr zurückfand in die Welt, nebeneinander auf einem Felsen sitzen und ins Wasser schauen.
Berührend ist das Verhältnis zwischen Xaver und seiner Mutter, die sich nach dem Bankrott des Gasthofes – wie ein Lawine stürzt sich die unaufhaltsame Moderne ins Tal und reißt alles mit sich, was den neoliberalen Normen und Ansprüchen der Touristen nicht mehr genügen kann – in die felsenkalte Gebirgseinöde zurückzieht und ein schwärendes Mutterloch zurücklässt. Ihr Mann und Vater von Xaver ist längst dahin wieder zurückgekehrt, woher er einst gekommen war, weil ihn die Gastwirtinspielerei seiner Frau nur noch abgestoßen hat. Die lebt nun dort oben in einer Steinwelt, wohin sich bloß wenige Menschen verirren, in einem nicht über alle Zweifel erhabenen Zusammenspiel mit dem Eremiten Mathoi – einem Seher bestenfalls, der dem Sohn nicht geheuer ist. Doch ausgerechnet und wie Xaver es auch hofft, findet der Einödler den vermissten Jungen. Um aber seine Mutter und Mathoi vor den gehässigen und Zungen wetzenden Dörflern zu schützen, gibt er vor, den Jungen selbst gerettet zu haben.
Lawinen schütten zu. Robert Prosser deckt in seinem kühlkalten Bergroman auf, ohne seine Figuren zu entlarven, erzählt von leisen Versehrungen, von Träumen und Sehnsüchten, die meistens unerfüllt bleiben. Und doch klingt das Ende des Romans so, als gehe das Leben um ein Nuance versöhnlicher weiter.
Robert Prosser: Verschwinden in Lawinen, Jung und Jung, 2023, 192 Seiten
Robert Prosser, der auch ein begnadeter Perfomer ist, wurde zu den Literaturtagen in Klagenfurt 2023 eingeladen (hier gehts zum Autorenporträt).