Die Lyrik von Iason Depountis

Als ich in Korfu den Namen Iason Depountis erwähne, der hier geboren wurde, ernte ich selbst in der Lesegesellschaft einen überraschten Blick. Schließlich findet die Bibliothekarin die Titel im Computer. Und während sie die Bücher zusammensucht, lasse ich meinen Blick über den Boden und die Regale schweifen, in denen vor lauter Wurmstichigkeit die Buchrücken abfallen, sich die Gänge der Würmer auf den Buchblöcken abzeichnen, inbesondere die Autoren unter M wie Machiavelli sind davon betroffen.

Beglückt betrachte ich die Bücher vor mir, manche Seiten sind noch nicht einmal aufgeschnitten. Die Vielfalt des Oeuvres sticht mir trotz Unkenntnis des Griechischen ins Auge, inmitten von Erzählungen prangen Zeichnungen, ich entdecke Theaterstücke, welche Rolle spielten die Autoren, deren Porträts abgebildet sind?

Diesem Besuch in Korfus Lesegesellschaft ging eine Lesung mit Dimitris Depountis voraus, der an einem lauen Sommervormittag die Fragmente und Reflexionen seines Vaters anslässlich dessen 10. Todesjahres vorstellte. Wie elektrisiert ging ich nach Hause. Und vergrub mich in die Lyrik Iason Depountis‘. In einem Gespräch beantwortete Dimitris Depountis die vielen Fragen, die mir beim Lesen kamen. Das Interview ist auf dem literaturblatt.ch von Gallus Frei-Tomic nachzulesen.

Kieselsteine brauchen Zeit

Zum Schwäbischen Literaturpreis hat es nicht gereicht, aufgenommen wurde meine Ezählung „Kieselstein“ dafür in die Anthologie „Schönheit“. Peter Fassl schreibt in seinem Vorwort dazu: „Was soll eine fünfzigjährige Frau machen, die von ihrem beruflich erfolgreichen Mann für eine jüngere Partnerin verlassen wird? Fitness, Meditation, gesunde Ernährung, Schönheitkorrekturen – aber Zeichen der Trauer und Entttäuschung bleiben.“

Erschienen ist die Anthologie im Wißner-Verlag, Augsburg.

Workshop: Von der Idee – übers Schreiben – zum Buch

Einführung zum Thema: „Ein Buch schreiben“.

Sie möchten ein Buch schreiben, und Sie haben eine Idee, nur: Wie schreibt man eigentlich ein Buch? Und lassen sich Ihre Ideen überhaupt zwischen zwei Buchdeckel packen? Beispiele und konkrete Übungen zeigen Ihnen, wie Sie Schritt für Schritt mit Ihrem Schreibvorhaben vorankommen können.

Wir diskutieren Schreibstrategien und -techniken ebenso wie Fragen nach dem Aufbau einer Handlung oder der Niederschrift eigener Reflexionen. Von der notwendigen Überarbeitung eigener Texte wird ebenso die Rede sein wie von Lust und Frust beim Schreiben selbst. Anregungen, Empfehlungen und handfeste praktische Informationen über das Schreiben eines Buches runden den Kurs ab.

„Lassen Sie mich Ihnen erzählen, dass mich der Kurs immer noch täglich in Gedanken, Bildern, und nachhallenden Worten begleitet. Er war intensiv, lebendig, lustreich und es schien mir fast, als würden Sie zu uns allen als Schriftsteller sprechen. Heroisch und einzigartig diese für mich wertvollen Momente. Dafür danke ich Ihnen herzlich!“
Petra Pisler

„Jetzt, wo ich alles Revue passieren lasse, sehe ich, wie viele gute Tipps Sie uns mit auf den Weg geben konnten. Dadurch werde ich in Zukunft gezielter Arbeiten können.“
Thomas Schweizer

Wortschatz

Schreibworkshops für Kinder

Leitung: Alice Grünfelder und Jaël Lohri.

Die Schreibwerkstatt «Wortschatz» will Kinder von 8 bis 12 Jahren, die nicht nur in der Schule gerne und überdurchschnittlich gut schreiben, sondern auch in der Freizeit, spielerisch, aber gezielt fördern.

Wir begleiten diese talentierten kleinen Schreiberinnen und Schreiber an drei aufeinander folgenden Nachmittagen auf der Suche nach ihrem je eigenen Wortschatz und helfen ihnen, die Kostbarkeiten zu bergen. Dabei sollen die Kinder jederzeit ihrer Freude am Umgang mit der Sprache Ausdruck geben und dabei ihr Sprachbewusstsein nachhaltig schärfen können.
Den Abschluss und Höhepunkt der Schreibwerkstatt bildet eine Präsentation der Arbeiten im Literaturhaus, zu der die Kinder ihre Eltern, Verwandten und Freunde einladen können.
Anmeldung und Informationen im www.aargauer-literaturhaus.ch
Nächster Termin: 24.4.-26.4.2019

Fotos und Texte vom letzten Workshop im April 2015:

Rondells

Er schaute zu den Vögeln.
Er wollte auch so hoch oben sein.
Er schaute zu den Vögeln.
Er war noch zu klein, um zu fliegen.
Er hatte Sehnsucht nach dem Himmel.
Er wollte auch über Städte fliegen.
Er schaute zu den Vögeln.
(Noe, 10 Jahre)

Du irrst dich, wir hätten viel erreichen können.
Doch du warst zu müde.
Du irrst dich, wir hätten viel erreichen können.
Doch du hast aufgegeben.
Doch du hattest nicht genug Mut.
Doch du wolltest nicht mehr.
Du irrst dich, wir hätten viel erreichen können.

Nein, das ist inakzeptabel.
Ich mache nicht mit.
Nein, das ist inakzeptabel.
Ich habe es mir lange genug überlegt.
Es kann nur schief gehen.
Ich habe mich entschieden.
Nein, das ist inakzeptabel.

(Beide Rondells von Malin, 10 Jahre)

Nächster Termin: April 2017

Wenn nichts mehr geht … oder doch?

Wien? Ohne Wien.

Wien? Welches Wien?

Wien? Verrutscht.

Wien? Ausgeblutet.

Wien? Eine Unwirklichkeit.

Wien? Zerschunden.

Wien? Leergeräumt. Ein Tosen oben, ein Dröhnen unten, dazwischen Stille. Scherbenwelt, Trümmerbruch, Geisterstadt. Alle Regeln aufgehoben, keine Stadt, keine Gesetze.

So oder so ähnlich beginnt Autolyse. Erzählungen vom Ende von Karin Peschka. Was auch immer geschehen war, es hatte viel Schaden angerichtet. Auch in der Wohnung einer Rentnerin, die trotz bester Vernetzung im Alter, trotz Smartphone und Internet nun eingesperrt auf ihren Tod wartet. Denn „draußen nach wie vor Getöse, vom Himmel fallende Wut.“ Der Brand fegte durch Straßen, höhlte Häuser aus. Autos liegen quer übereinander, die Alarmanlangen verstummten erst nach ein paar Tagen, die Warnblinkanlagen erlöschten irgendwann. Zwischen Brüchen und Rissen flackert das Straßenlicht.

Was ist passiert?, will eine andere wissen, steigt aus dem Auto, und plötzlich bewegt sich der Boden, ein Ruck, sie stürzt. „Darüber ein gelblicher Himmel mit blauroten Lücken.“ Ein Kapitän fährt auf dem Fluss hinein in die Stadt, in ein Dunkel – wo einst optische Verschmutzung den Himmel hell erleuchtete, flockt nun der Nebel, das Ufer ist wenig mehr als eine Skizze. Ein anderer hat vier Finger verloren, weil ein Fassadenteil direkt auf seine Hand fiel, glatter Schnitt. „Trümmerte es, polterte und hallte nach. War wieder still. So ging es die ganze Zeit.“

Katastrophenvorsorge versagt angesichts dieses überwältigenden Etwas, das keine der Figuren in Worte zu fassen vermag. Ein Mäandern um die konkrete Benennung, und jeder nennt es anders. Zumal man damit beschäftigt ist herauszufinden, wie man mit (dem) Nichts überlebt. Und die irrlichterne Hoffnung, dass es nur ein schlechter Traum sei, dass schon bald Flugblätter abgeworfen werden würden, die einem sagen, wohin, mit Überlebenspaketen an kleinen Fallschirmen.

Die anderen? Menschen schon auch, aber selten, sie irren herum, eine aussterbende Spezies. Aus dem Rauch der Stadt ertönt fernes Hundegebell. Tiere erobern sich die Stadt zurück, hausen in Ruinen wie in anderen Katastrophengebieten, nachzulesen auch in Adolf Muschgs neuem Roman Heimkehr nach Fukushima. Dort sind es Wildschweine, die sich in einem Haus niedergelassen haben und es gegen die Rückkehrer verteidigen.

Die Tierwelt ist bei Karin Peschka nicht nur Begleiterscheinung, sondern Kommentar zu menschlichem Versagen. Einer stellt um des Überlebens willen Fallen auf, dreht einem Vogel rasch den Hals um, bevor das Geschrei den Aufenthaltsort verrät. Anderswo sind die Aquarien in einer Tierhandlung zerbrochen, die Tiere verenden in den Scherben, Reptilien sind geflohen.

In der längeren Erzählung „Ich“ wühlt sich jemand durch die Stadtlandschaft, zuerst auf der Suche nach Medikamenten gegen eine Autoimmunerkrankung, später nach Möglichkeiten der titelgebenden Autolyse, „denn wenn es niemanden mehr gibt, der dich begraben kann, musst du dich selbst darum kümmern.“ Zuvor aber die Krankheit besiegen, ein Geflecht aus Gängen durchwuchert den Körper, krampfige Schmerzen, eine Faust im Oberbauch, damals gab es noch Hausärzte und Spritzen, doch es wurde trotzdem alles schlimmer, dann aber Rettung, und die Krankheit ebbte ab.  Jetzt aber war ohnehin alles gleichgültig, das Überleben ungewiss, ein Experiment vielleicht nur diese Katastrophe.

© Taha Alkadhi

Karin Peschka verweist mich in eine Düsternis, die zu durchringen reizvoll ist, weil sie sprachlich virtuos glitzert. Das erste Mal ist mir die Autorin mit zwei Texten in der Anthologie „Die Sachensucherin“ aufgefallen. Dort war es ein Traktorfahrer, in dessen Dreck eine Motorradfahrerin ausrutscht. Ein kurzer, harter Aufprall – die Sätze knallen beim Lesen im Ohr. Und Tiere bilden eine seltsame Kulisse, als seien sie das Fragezeichen zum Text. In „Am Morgen, am Pier“ entblösst sich gleichsam die Stadt, denn ein nackter Mann liegt da und fordert Aufmerksamkeit ein. Später dann freute ich mich, dass „Wiener Kindl“ – der dritte Teil von Autolyse Wien -, 2017 mit dem Publikumspreis des Ingeborg-Bachmannpreises ausgezeichnet wurde. Ein Kind überlebt in den Ruinen Wiens, vergessen, verlassen von seiner Familie, aufgenommen in ein Rudel Hunde – kein Text, der einem breiten Publikumsgeschmack entspricht, möchte man meinen, deshalb freut mich der Preis umso mehr, denn er unterschätzt nicht mehr länger das Publikum, von dem so viele Verlage behaupten, sie wüssten, wie es ticke.

„Ich habe in meinen Texten den Hang zum Dunklen, mich interessieren Grenzerfahrungen“, sagt Karin Peschka in einem Interview. Das ist aber nicht alles, warum nur habe ich beim Lesen das Gefühl, die Autorin will dem Dunkel etwas Licht abringen?

Wien? Ausgelöscht. Das einzige Licht von einem fernen Vollmond.

Karin Peschka: Autolyse Wien. Erzählungen vom Ende. Otto Müller Verlag, 2017

Die Bühne muss stimmen!

© Chris Marogg

„Geschichten mit zu viel Harmonie sind langweilig“, sagt Petra Ivanov bei einem Vortrag über ihr Schreiben an der Universität Zürich. Während sie erklärt und zeigt, wie ihr neuester Krimalroman Alte Feinde entstanden ist, ploppt bei mir eine Frage nach der andere auf, die Petra Ivanov ein paar Wochen später beantwortet.

Du hast erzählt, dass das Schreiben eines Buches mit einer Bühne beginnt, das heißt, Du wählst einen Ausschnitt, einen Ort, suchst Dir dann die Figuren zusammen. Steht also am Anfang der Ort, der Dich inspiriert? Oder ist es ein Thema, das Dich nicht mehr loslässt? Du hast auch gesagt, nur schon beim Hören von „Echo der Zeit“ kämen Dir mindestens drei Buchideen in den Sinn.

Die Bühne muss nicht zwingend ein Ort sein. Sie besteht aus Fakten. Diese können einen Ort betreffen, genauso juristische Abläufe oder eine politische Situation, das taktische Vorgehen der Polizei, die Motive der Figuren und so weiter. Ganz am Anfang steht für mich das Thema. Ich suche Informationen zusammen, besuche Schauplätze und Institutionen, lese Fachbücher, spreche mit Beteiligten. Auf diese Weise baue ich die Bühne. Wenn ich das Gefühl habe, dass sie stabil genug ist, lasse ich die Figuren auftreten und beobachte, wie sie aufeinandertreffen.

Wie findest Du Deine Figuren?

Bei Serien sind die Hauptfiguren bereits vorhanden, ich kann höchstens von Buch zu Buch den Schwerpunkt verlagern. Die Figuren, die jeweils neu dazu kommen, entwickeln sich aus dem Thema / entstehen hingegen aus dem Thema heraus. Meist spüre ich beim Recherchieren, wer im Mittelpunkt der Geschichte stehen wird / um wen eine Geschichte kreist. Ein Beispiel: In Alte Feinde spielt der Amerikanische Bürgerkrieg eine wichtige Rolle. Das Mordopfer, Albert Gradwohl, setzt sich mit seinem berühmten Vorfahren Heinrich H. Wirz auseinander, der im Bürgerkrieg gekämpft hatte. Es war mir von Anfang an klar, dass Gradwohl der Aufhänger sein musste, ein Mann im Ruhestand, der nach seinen Wurzeln gräbt. Das passte einfach. Sein Wesen wurde immer konkreter, irgendwann verstand ich, was ihn antrieb.

Wie realistisch muss ein Krimi sein, wie nah darf er an das Geschehen ran?

Für mich gibt es keine Regeln. Ich schreibe das, was ich auch gerne lese. Wenn ich mich auf ein Buch einlasse, möchte ich etwas Neues erfahren, eine Reise erleben, die mich erfüllt und zum Nachdenken anregt. Stimmen die Fakten nicht, fühle ich mich getäuscht / betrogen. Hinzu kommt, dass mich Ungereimtheiten ablenken, was der Spannung abträglich ist. Das bedeutet nicht, dass ich Fantasy oder Science-Fiction ablehne. Ganz im Gegenteil. Die Geschichten müssen in sich stimmig sein. Wie realistisch ein Krimi ist, hängt auch mit dem Thema, den Figuren oder dem Plot zusammen. Manche Geschichten verlangen Details, andere nicht.

Wie verarbeitest Du Fakten in Deinen Büchern? Das ist ja eine ziemliche Gratwanderung, zu viele Informationen beschweren den Text, und doch benötigen die LeserInnen eine gewisse Hilfeleistung.

Das finde ich das Allerschwierigste. In Alte Feinde habe ich einen Erzählstrang eingebaut, in dem ein Revolver im Mittelpunkt steht. Er wechselt in jedem Kapitel den Besitzer, die LeserInnen erleben unterschiedliche Seiten des Bürgerkriegs, ohne dass ich viel erklären muss. In anderen Büchern sind es die Figuren selbst, die auf einem bestimmten Fachgebiet tätig sind oder bestimmte Ansichten vertreten, die sie in Dialogen äußern. Auch die Menge an Informationen sind Geschmacksache. Manche LeserInnen interessieren sich eher für die Handlung, andere wiederum auch für die Hintergründe.

Du warst viele Jahre Journalistin, was hat Dich bewogen, Bücher zu schreiben?

Ich bin der Meinung, dass man Menschen mit Büchern anders erreicht als mit journalistischen Texten. Wenn wir einen Roman lesen, nehmen wir uns die Zeit, uns in Figuren hineinzuversetzen. Wir sind bereit, ihre Sichtweise zu verstehen, auch wenn wir sie nicht billigen. Dadurch nehmen wir Fakten anders auf, wir sind empfänglicher und toleranter. Schwierige Themen lassen sich so leichter vermitteln.

Was ist für Dich am schönsten beim Schreiben?

Meine Grenzen zu sprengen. Dinge zu erleben, die ich im Alltag nie erleben würde, weil ich zu ängstlich, zu bequem oder zu vernünftig bin.

Info: Auf der Website von Petra Ivanov finden Sie aktuelle Informationen zu ihren Büchern und Terminen. Und hier gehts zu ihren Büchern beim Unionsverlag.

Palmen Wolken

Inselleben

Insel Koh Tonsay (Kambodscha, August 2018)

Umgeben von rauem Meer, unzuverlässig, zornig, launisch – Wellen, die immer wieder gegen den Sandstrand schlagen, sich zurückziehen, von Neuem ausrollen, ein einziges Vor und Zurück, eine einschläfernde Bewegung, die endlos, ewig, uralt erscheint und schon immer war, bevor es den Menschen gab. Und nachmittags peitscht der Monsun über die Insel, wühlt das Meer erneut auf, zerzaust die Palmen. Der Horizont ist nicht unendlich, die Inseln sind mal scharf gezeichnet, mal undeutlich wie eine Ahnung, die größere könnte die vietnamesische Insel Phu Quoc sein.
Wind und Wasser also.

An den Hängen der Insel zieht sich der Dschungel hinauf, erdrückt alles unter sich mit feucht-fingrigen Ästen. Zwischen den Hügeln Palmhaine. Und unten am Strand Bungalowanlagen. Nur zwei von sechs sind geöffnet um diese Jahreszeit und zwei Restaurants mit ähnlichen Speisekarten.

Die kleine Anlage am Ende der Bucht wird von einem Geschwisterpaar geführt, so scheint es, aber ich bin mir nicht sicher, der Schein kann genauso gut trügen. Was weiß ich schon? Stühle und Tische stehen in Gruppen unter Mangroven, abends wird ein dezentes buntes Licht eingeschaltet. Als einmal die Sonne ein wenig zwischen den Wolken hindurchblinzelt, taucht ein Dritter im Bunde auf, einer mit einer leichten Gehbehinderung, der die Bestellungen aufnimmt, denn Englisch sprechen die anderen beiden nicht, sie verstehen nur das Notwendigste. Am letzten Tag kommen – vermutlich des Wetters wegen – Einheimische, die offensichtlich der Inselküche misstrauen und ihr eigenes Essen mitgebracht haben. Kein Tosen, kein Sturm, kein Gewitter hindert sie daran, sich in die Wellen zu werfen – schwimmen können sie alle nicht.

Die anderen Touristen bleiben in der zweiten Anlage, bei Simone, der Inselkönigin, die jeden sofort anspricht, umarmt, drückt, die Hand reicht – Kundenbindung herstellt, auch mit den Tagesausflüglern, die das Fährboot morgens bringt. Hier aber hockt man hinter Plastikplanen, an denen der Wind so heftig zerrt, dass eine Unterhaltung kaum möglich ist. Hockt auf Plastikstühlen an roh gezimmerten Tischen, und alle linsen hinaus oder zur Seite hin oder zwischen den Planen hindurch, als ob es da draußen etwas anderes zu sehen gäbe als das Meer, als ob sich Wunder was ereigne, aber es ist nur das ewiggleiche Rauschen und Rollen der Wellen.

Wir wohnen etwas abseits, der Besitzer musste am Tag unserer Ankunft erst überzeugt werden, uns einen Bungalow zu vermieten, denn die meisten seiner Hütten waren abgedeckt mit blauen Plastikplanen. Er liegt den ganzen Tag mit seinem Handy in der Hängematte, immer mal wieder kommen Männer vorbei, am Anfang saß noch eine Frau bei ihm, die stickte und teilte nachts mit ihm die Matratze.

Weiter hinten bei den Enten wohnen die Masseurinnen der Insel, die Touristen für 5 Dollar massieren würden, wenn denn welche kämen und Lust dazu hätten. Meistens aber sehe ich sie untätig neben ihren Matten sitzen und warten. Um 15 Uhr packen sie ihre Utensilien zusammen und gehen wieder zurück zu ihren Entenhäuschen. Was sie wohl tun? Sich ihre Träume erzählen?

Die neuen Seidenstraßen

Geoökonomischer Machtpoker: Bieten die Wirtschaftskorridore entlang der alten Seidenstraßen Alternativen zu herkömmlichen Handelsbeziehungen oder will China einfach nur seine Vormachtstellung in der Welt ausbauen? Der Publizist Uwe Hoering analysiert in seinem Buch Der Lange Marsch 2.0.. Chinas Seidenstraßen als Entwicklungsmodell die ökonomischen Hintergründe dieses gigantischen Masterplans. Eine längere Rezension seines Buches ist auf www.kritisch-lesen.de nachzulesen, eine kürzere Besprechung in der NZZ.

Übers Schreiben

fluss mit vogelschwarmWarum ich schreibe, was mich umtreibt und wichtig ist – das haben Dana Grigorcea und Perikles Monioudis aus mir herausgekitzelt. Diese Fragen habe mich ganz schön in die Enge getrieben und dazu angeregt, mir über mein eigenes Schreiben einmal Gedanken zu machen.

Ihre Fragen und meine Antworten sind hier nachzulesen.

 

Nicht mehr länger stumm

Frauen aus Nepal erzählen – und sie erzählen in einer Weise von alltäglichen Kränkungen und Diskriminierungen, die rühren und erschrecken.

Peinlich ist es, auf einer Schulbank zu sitzen und nicht zu wissen, was da aus einem herausrinnt; das Mädchen weiß es nicht, weil niemand es über die Menstruation aufgeklärt hat, nicht einmal die eigene Mutter. Noch schmerzlicher wird dann die Erfahrung, als Blutende temporär ausgestoßen zu sein, nicht an Festen teilnehmen zu können, dieses und jenes der vermeintlichen Unreinheit wegen nicht in die Hand nehmen zu dürfen, die blutigen Binden nachts im Hof waschen zu müssen, damit frau nicht gesehen wird.

Auch das Problem, nur Frau, nur Tochter zu sein, nur Töchter geboren zu haben, lastet auf Generationen von Frauen – und führt zur harschen Zurückweisung selbst innerhalb der eigenen Familie. Schließlich können die Ahnenrituale nur von Söhnen richtig ausgeführt werden, und die Tochter geht nach der Heirat ohnehin aus dem Haus, warum sich also Mühe geben mit der Erziehung? Unverständlich nur, dass Frauen, die selbst unter diesem Schicksal litten, kaum weniger nachsichtig sind. Die Autorin Sharmila Khadka erklärt: „Sie behandelten ihre Töchter genauso, wie sie von ihren Müttern behandelt worden waren. Weil sie wenig Selbstvertrauen hatten und unfähig waren, Entscheidungen zu treffen, blieben sie von anderen abhängig.“

Vom sexuellen Missbrauch durch nächste Verwandte wird erzählt, von grundlegenden Benachteiligungen selbst in kleinsten Dingen, und von einer Scheidung, denn wohin soll eine Frau, wenn der Mann sich scheiden lassen will? Die Frau ist lediglich eine Marionette, schreibt Usha Sherchan: „Diese unsichtbaren Haken / Obwohl ich sie abreißen möchte / Kann ich sie aber nicht abreißen / Obwohl so sehr vom Tanz ermüdet / Bin ich gezwungen, weiter zu tanzen / Obwohl ich so sehr vom Leben ermattet bin / Bin ich zum Weiterleben verdammt.“

Auch wenn der Klappentext es anders verspricht, so ist nur wenig von Selbstbestimmung und Hoffnung die Rede, wenngleich so manche der Autorinnen sich all ihren Mut kraftvoll zusammenschreibt. Auf diese Weise enstand eine bildreiche Lebenscollage, an der 12 nepalesische Frauen mitgewirkt haben.

Benachteiligungen von Frauen in solcherart patriarchalischen Gesellschaften wurden in Reportagen, Romanen und Kurzgeschichten bereits variantenreich aufgearbeitet. Was bei diesen Lebensgeschichten allerdings überrascht und auch beabsichtig ist, so die Herausgeberinnen und Übersetzerinnen Johanna Buß und Alaka Atreya Chudral, ist die Rohheit. Hier wurde nichts für eine westliche Leserschaft aufpoliert, daran kann man sich stören wie an so manch ungelenker Formulierung, doch es sind letztlich Unmittelbarkeit und Offenheit der Texte, die bestechen und gänzlich unvermutet treffen.

Johanna Buß und Alaka Atreya Chudral: Auf der Suche nach dem eigenen Sein. Frauen aus Nepal erzählen. Draupadi-Verlag, 2018, S.118