Verzicht

Vom süßsauren Verzicht

„Verzicht“, die letzte Ausgabe des österreichischen Kulturmagazins Wespennest, steht glücklicherweise nicht nur unter dem wohlfeilen Motto „small is beautiful“, sondern spielt das ambivalente Thema variantenreich durch.

„Darf es etwas weniger sein?“, fragt Alexander Rabl und, zugegeben, Verzicht in Zeiten der Völlerei oder ungebremsten unmittelbaren Bedürfnisbefriedigung hat durchaus eine biologische, gesellschaftspolitische, globale Berechtigung. Nur wenn Verzicht-Wellen sich ablösen und bessere Welten vesprochen werden, wenn richtig und deshalb „gut“ verzichtet wird – weht einen ein Hauch von Skeptizismus an.

Wer verzichtet, will gefälligst belohnt werden

Christian Haller ist schonungslos ehrlich in seiner Selbstanalyse vom selbstauferlegten Verzicht, denn die Entbehrung will belohnt werden mit etwas, was „im Wert höher“ sein muss als das, worauf man verzichtet. Somit werden dem Verzicht hehre und löbliche Ideale unterstellt, weshalb Verzicht und Askese anfällig seien für die Instrumentalisierung durch Religion und Ideologie. Ja, man kommt ins Paradies, wenn man nur zu verzichten versteht, predigen auch moderne Moralapostel – die Trias Askese, Opfer und Gehorsam drängt sich auf. Gleichzeitig verspricht Verzicht neuerdings Distinktionsgewinn, „man trägt ihn vor sich her wie eine Monstranz“, so Alexander Rabl. Statussymbol sei das „Teefasten im Kloster“, der Verzicht stärke das „eigene moralische Stehvermögen“.

Vom Luxus des Verzichts

Andreas Kossert zeichnet auf, worauf der Geflüchtete zu verzichten gezwungen ist, ein Verzicht also, der unfreiwillig ist, ein Verlust, den zu ermessen unsere Vorstellungskraft sprengt. Denn wer versteht schon, wie das über Generationen aufgebaute Netzwerk eines chinesisch-vietnamesischen Clans funktioniert, von dem sich unsereins womöglich eingeengt fühlen würde, was es bedeutet, wenn gesellschaftliche Codes unverständlich und auf einen Schlag wertlos sind, wie es Phuong Duong kommentiert? So sind wohl die Bilder von Nafez Rerhuf zu verstehen, leere Bilder, sonst nichts, denn kein Abbild sollst Du machen – es würde ohnehin ins Leere zielen. Leere und Nicht-Tun, nicht zu verwechseln mit Nichtstun, so Frank Witzel, im Sinne einer Selbstreinigung kann als Widerstand gegen Gewohnheiten gedeutet werden. Es ist sicherlich kein Zufall (so übrigens das aktuelle Thema bei Wespennest), dass so mancher Verzicht um eine leere Mitte kreist, die nie ganz erreicht werden kann. Oder doch? Simone Weil verzichtete auf Nahrung und brachte sich damit um ihr Leben.

Es gibt noch weitere Möglichkeiten des Verzichts, die in diesem bemerkenswerten Heft durchgespielt werden. Und glücklicherweise tappt kein Text in die Falle des wohlfeilen Verzichts in Zeiten, da der neue Minimalismus als Geschäftsidee seltsame Blüten treibt, der Verzicht in sein Gegenteil pervertiert und „für das Weglassen eine schöne Summe“ kassiert wird. Verzicht ist Luxus, den man sich leisten können muss. Wer hungert, weil er arm ist, leidet unter Entbehrung und wird den unfreiwilligen Verzicht auf Essen nur wenig schmackhaft finden.

Verzicht. Wespennest Nummer 181, November 2021