Lektürenotiz zu „Scheherazades Erben“ von Hussein Mohammadi
Die Hauptgeschichte ist rasch zusammengefasst: Ein Mädchen verliebt sich in einen Jungen aus dem Nachbardorf, obwohl sie bereits ihrem ungehobelten Cousin versprochen ist. Die beiden fliehen, Vater und Onkel entdecken sie schon anderntags in Kabul, der Junge wird getötet. Es sind indes die Nebengeschichten, die den Charme dieses Romans ausmachen: Eine Figur reicht den Erzählstab an die nächste weiter, und so entspinnt sich ein Fadengeflecht aus Geschichten, das sich engmaschig über Kabul legt.
Der Polizeiinspektor z.B. macht seinem alten Kampfgefährten – dem Onkel des Mädchens – einen Gefallen, nur unwillig zwar, denn mit Ehrenmorden will er nichts zu tun haben. Immerhin gebe es in Kabul mittlerweile ein Rechtssystem, grummelt er, das er selbst jedoch permanent mit Erpressungen durchlöchert. Von seinen zahlreichen falschen Entscheidungen kriegt er Knoten im Kopf, die er nicht lösen kann. Stattdessen trinkt er lieber Tee, knackt Sonnenblumenkerne und überlegt, wie er jede Situation zu seinem Vorteil ausnutzen kann.
Der Vater des geflohenen Mädchens aber – ihm bleibt wenig. Als er sich einmal gegen die Steinigung eines Mädchens wehren, ja einschreiten möchte, läuft er Gefahr, gleich selbst vom geifernden Mob getötet zu werden. Auch seine eigene Tochter kann er nicht retten vor dem Zugriff der bigotten Verwandtschaft, die auf Wiederherstellung der Ehre pocht. Wenn er mithilft, seine Tochter zu finden, so verspricht es ihm der Bruder, werde seine Tochter „nur“ getötet, nicht gesteinigt. Ein schwacher Trost, mit dem er sich nicht recht zufriedengeben will; doch irgendetwas regt sich nun ihm, auch wenn da zunächst nur ein winziges Flämmchen Widerstand in ihm lodert.
Ein weiteres, nicht minder interessantes Detail ist die Verdienstquelle des Onkels. Als Dank dafür, dass er die Nachbardörfer mit seiner eigenen kleinen Terrorgruppe vor Überfällen schützt, erhält er wertvolle Gegenstände – Schmuckstücke, Skulpturen, Truhen -, die er vor den Talibans versteckt, obwohl er sich ihnen angeschlossen hat. Später verkauft er sie für viel Geld an ausländische Experten.
Eine Geschichte, wie man sie aus Afghanistan kennt, aus den Medien, aus der Literatur. Ein Klischee? In Kabul tragen sich viele solcher Geschichten zu, es ist nur eine von vielen – mit diesen fast lakonischen, ja geradezu desillusionierenden Worten endet der Autor diesen tödlichen Reigen.
«Morgen wird sich diese Geschichte in ganz Kabul herumgesprochen haben. Sie wird zu einer weiteren Geschichte geworden sind, die dieses Land zu erzählen hat.»
Hussein Mohammadi: Scheherazades Erben. Aus dem Persischen von Sarah Rauchfuß. Edition Bücherlese, 2023, 176 Seiten.