… eine Prophetie, die der Vater der indischen Schriftstellerin Sara Rai mit auf den Weg gab.
Vom Schreiben und dem Ringen um Worte erzählt Sara Rai in ihrem Essay „Du wirst die Katherine Mansfield der Hindi-Literatur sein“. Sie selbst übersetzt moderne Hindi und Urdu Literatur, schreibt in Hindi und Englisch, wuchs auf zwischen der schiitischen und hinduistischen Kultur.
Ihre Reflexion übers Schreiben haben allerdings wenig mit ethnischen Zuschreibungen und Abgrenzungen zu tun, ihre Fragen sind vielmehr universeller Natur. Woher kommt dieser Drang zu schreiben? „Liegt es vielleicht daran, dass ich die Dinge aus einer sprachlichen Distanz heraus betrachten muss?“ Schon als Kind wusste sie, dass sie schreiben wolle. „Nur, wie anfangen?“
Und so schrieb Sara Rai jahrelang Tagebücher, suchte nach einer Sprache und wartete auf den vermeintlich richtigen Augenblick. „Wenn er da war, spuckte mein Füller nur wiedergekäute Literatur aus.“ Dann aber begreift sie eines Tages, dass „der Schreibprozess begann, lange bevor man etwas zu Papier brachte, dass man gewissermaßen immer schon schrieb.“
Einfacher wird das Schreiben deshalb noch lange nicht, und man merkt den Geschichten an, dass sich Sara Rai gewisse Themen zur Aufgabe macht, sich daran abarbeitet, ohne dass indes die Schwere spürbar wird. In der Erzählung „In der Wildnis“ versucht sie, Wortfetzen zu fassen, die wie eine Karawane vorüberziehen. „Sie fliegen auf und davon wie Vögel, die das Weite suchen.“ Auffällig ist, wie sie es vermag, gänzlich verschiedene Welten zu beschreiben und völlig unterschiedliche Perspektiven einzunehmen wie beispielsweise jene eines Mannes in „An der Kante“, der seine Liebe zu einem anderen Mann nicht leben kann, oder die Sicht eines Vergewaltigers in „Tatverdächtiger flüchtig“, der froh ist, dass ein anderer für seine Tat bestraft wird.
Umso überraschender ist das Eingeständnis von Sara Rai, als Frau von vielerlei Erfahrungen ausgeschlossen zu sein. Sie könne zum Beispiel nachts nicht alleine ausgehen, könne also eine Stadt in Nordindien nicht im Schlaf erleben, Frauen hängen auch nicht an einer Betelnussbude herum und sie habe deshalb auch keine Chance, die feinen Abstufungen des Straßenslangs zu vernehmen, der Alltagssprache zu lauschen. Dafür aber gelingt ihr die Tonalität in ihren Geschichten erstaunlich gut.
„Im Labyrinth“ ist ein Mikrokosmos indischer Welten, die Erzählungen sind fein ziseliert und zeigen unterschiedliche Ausschnitte einer Gesellschaft, die an ihren Widersprüchen zu zerbrechen droht. Dafür erhielt die Autorin verdientermaßen 2019 den Rückert Preis der Stadt Coburg.
Sara Rai: Im Labyrinth. Aus dem Hindi und mit einem Nachwort von Johanna Hahn. Draupadi-Verlag, 190 Seiten, 18 Euro. Als E-Book beim Unionsverlag.