In der chinesischen Sprache klingen viele Silben gleich oder ähnlich. Dass dies zu irritierenden, aber auch amüsanten Verwechslungen führen kann, beschreibt Deike Lautenschläger in ihrem Buch Das Glück verkehrt herum. Ich habe nachgefragt:
Homophone sind der Alptraum nicht nur von Sinologie-Studenten: Silben werden gleich ausgesprochen, haben aber eine vollkommen andere Bedeutung. Sie, Deike Lautenschläger, haben nun ausgerechnet Homophone gesammelt. Wie kamen Sie auf die Idee?
Wenn man in Taiwan lebt, stößt man früher oder später auf Homophone – also auf Wörter, die gleich oder ähnlich klingen und denen deshalb je nachdem eine glück- oder unglückbringende Verheißung nachgesagt wird, denn sie sind im Alltag und besonders an Feiertagen präsent. Angefangen hat alles mit der Kakifrucht, die mir vor vielen Jahren eine Freundin in Taiwan zum chinesischen Neujahrsfest Ende Januar/ Anfang Februar überreichte, um mir mit dem Homophon der Kakifrucht 柿子 shìzi und dem chinesischen Wort für „alles“ 事事 shìshì den typischen chinesischen Neujahrswunsch „alles wie gewünscht“ 事事如意 shìshì rúyì ohne Worte zu überbringen. Das hat mich fasziniert – kein Glückwunsch in Form einer Karte mit Worten, sondern in Form einer Frucht durch den gleichen Klang! Natürlich war ich durch einen Chinesischkurs schon auf die schlechte Bedeutung der Zahl Vier aufmerksam geworden und erlebte im Alltag auch die ganz praktischen Konsequenzen wie z.B., dass es manchmal keinen 4. Stock gibt. Über die Jahre habe ich Homophone aus Spaß und Interesse gesammelt. Einige Homophone hatte ich schon in meinem Buch Fettnäpfchenführer Taiwan erwähnt. Inspiriert hat mich letztendlich dann die Art und Form des Buches Atlas der abgelegenen Inseln von Judith Schalansky, in dem 50 abgelegene Inseln recherchiert und in kleinen Geschichten wunderschön poetisch beschrieben sind.
Wie sind Sie sie bei der konkreten Zusammenstellung für dieses Buch vorgegangen? Gab es Zuträger:innen, kam Ihnen der Zufall zu Hilfe, gab es ursprünglich noch mehr Kategorien, wie haben Sie die Homophone ausgewählt?
Viele Homophone sind mir im Alltag und an Feiertagen aufgefallen, oder ich wurde durch taiwanische Freunde und Bekannte darauf aufmerksam gemacht. Als der Entschluss gefallen war, ein Buch darüber zu schreiben, fragte ich natürlich direkt nach und stieß so auch auf weitere Homophone. Zwei oder drei wurden im Chinesischkurs thematisiert. Weiterhin habe ich in taiwanischen Medien danach gesucht, also online in Zeitungen und Magazinen, denn auch wenn viele Homophone sehr alt sind, so werden sie doch noch in heutigen Kontexten angewendet. Zu aktuellen Geschehnissen posteten taiwanische Netizens auf Facebook und Instagram Wortspiele, in denen auch oft Homophone zu finden waren. Geplant waren eigentlich 50 Texte, aber bald hatte ich eine größere Menge zusammengetragen, aus denen ich dann die interessantesten und relevantesten 60 ausgewählt habe. Als das Buch bereits im Lektorat war und auch später während des Drucks und sogar bis heute entdecke ich homophone Wortspiele, die von politischen oder gesellschaftlichen Begebenheit inspiriert sind, die ich zwar für mich aufschreibe, aber für die es leider zu spät ist.
Ja, besonders die politischen Homophone haben mich beeindruckt, da ist die Rede von Grasschlampferden, Flusskrabben – mit denen der Künstler Ai Weiwei in seinem Kunstwerk Hexie bereits gespielt hat. Zurzeit skandieren jugendliche Demonstranten in China „Bananenschalen“, weil diese Silben mit demselben Buchstaben beginnen wie die Initialen von Xi Jingping In anderen Kapiteln wiederum menschelt es, dann wieder geht es um Feste und z.B. das Wetter – kurz, die Bandbreite der Homophon-Sammlung ist enorm. Ihre Sammlung macht Lust, hinter die schier unüberwindbare Mauer aus schwer zu erlernenden Schriftzeichen zu blicken. Dabei kombinieren Sie sprachlich fein ziselierte Alttagsbeobachtungen mit etymologischen Ausführungen, besonders überzeugend z.B. bei Wolken und Glück; amüsant auch, wie Sie die bestimmte Redewendungen aufschlüsseln, 三 Q / sān q wird zu thank you, 八八一 / bā bā yī zu bye bye. Darüber sprechen Sie ausführlich auf Radio Taiwan. Warum aber steht im Untertitel des Buches „Homophone in Taiwan“, es bezieht sich ja auf die Sprache, nicht ein Land? Oder gelten die gesammelten Homophone und deren Bedeutung nur in Taiwan? Schließlich erwähnen Sie auch Homophone in China und HK.
Sprache ist stets eng verbunden mit Identität, Kultur und Politik. Fast alle der Homophone im Buch sind mir in Taiwan zu Ohren gekommen – eingebettet im Kontext des taiwanischen Alltags, in denen die Wörter ihre Bedeutung in Feinheiten und Komplexitäten finden. Viele der Homophone gibt es sicher auch in China und anderen chinesischsprachigen Ländern und Gebieten, doch wie sie da gebraucht werden, vermag ich in diesem Buch nicht zu sagen – das wäre dann ein jeweils anderes Buch. Und es wäre auch ein Buch, das ich nicht schreiben kann als eine Autorin, die seit mehr als 17 Jahren nur in Taiwan gelebt hat. Schreiben ist ein subjektiver Prozess, bei dem man bewusst und unbewusst seine Erfahrungen und Erlebnisse mit einfließen lässt.
Auch die wenigen homophonen Ausflüge nach China und Hongkong sind nur von Taiwan aus möglich. Zum Beispiel basiert der Text über Hongkong auf Erzählungen von Augenzeugen, die mir in einem Café in Taipei von den Protesten 2019/2020 in Hongkong berichteten. So ein freier Austausch von Meinungen und Erlebnissen wäre höchstwahrscheinlich in einem Café in Peking nicht möglich gewesen.
Deike Lautenschläger: Das Glück verkehrt herum. Fotografie und Illustration Liesbeth Cole. Iudicium-Verlag 2022, 278 Seiten
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