Von Töchtern und ihren Vätern

Gleich vorweg: Ich mag keine Sachbücher, lese nur selten welche, weil sie mich beraten wollen, und die Ratschläge aufdringlich und seitenlang zum Besten gegeben werden. Und nein, ich spreche nicht von Ratgebern, sondern von Sachbüchern zu sogenannten lebensrelevanten Themen.

Nur bei Susann Sitzler mach ich eine Ausnahme, weil ich weiß, dass sie mich nicht beraten, sondern erzählen will. Dennoch habe ich bei ihrem Buch über die Geschwister tatsächlich so etwas wie einen Rat bekommen, auch wenn mir nur schon die Formulierung „Und, was hast Du mitgenommen?“, die Frage nach der Take-Home-Message, auf den Keks geht.

Nun also geht es in ihrem neuen Buch um Väter und Töchter, um zehn Besuche auf dem Friedhof, wo sie die Urne ihres Vaters besucht (denn „seit er tot ist, kann ich mich ihm endlich gefahrlos nähern.“), nicht aber das Grab ihres Stiefvaters. Es ist ein „Beziehungsbuch“, so der Untertitel, und sie fächert die vielfältigen Beziehungen, die zwischen Vätern und Töchtern möglich sind, sensibel auf: Das reicht vom immerhin „Ersten Mann“ über „Sparring“ bis zu der ambivalenten Rolle des Zerstörers und Bewahrers – je nach Familie. Und wie frau sich an der lebenslangen Asymmetrie abarbeitet.

Es gefällt mir, dass sie nie etwas besser weiß als ihre Leser:innen, sondern einfach nur aufmerksam Gespräche führt, zuhört, behutsam Fragen stellt. Zwar untermauert sie ihre Einsichten mit Informationen aus Fachbüchern, flechtet diese aber eher unauffällig ein. Gleichzeitig ist es auch ein sehr privates Buch, denn beim erneuten Durchblättern stelle ich fest, dass bei ihrer Suche nach den verschiedenen Vater-Funktionen und den damit einhergehenden Problemen es wohl auch darum geht, ihren eigenen Vater besser zu verstehen, der ein Leben lang zwar an- und doch meistens abwesend war. Und was heißt das für ihr eigenes Leben? „Es ist das, was Erwachsensein auch bedeutet. Verantwortung zu tragen für die Schmerzen, die man anderen zufügt. Sich manchmal für sich selbst und gegen andere, auch wenn sie schwächer sind, zu entscheiden. Und auch dem anderen diese Verantwortung zuzugestehen.“ Vor dem Hintergrund dieses Satzes verstehe ich die Abschiedsszene zwischen der Autorin und ihrem Vater: auch hier wieder sehr persönlich, fast beneidenswert souverän.

Interessant sind die Ausführungen über die vaterlosen Töchter, spannend wird es, wenn Töchter von Vätern und ihrer späten Suche nach ihnen erzählen: von den Sockeln, auf die sie gestellt wurden, von den Traumhelden – und wie schmerzlich die Wahrheit ist oder wie frau damit leben muss. Susann Sitzler befragt auch viele junge Väter für ihr Buch, die für sich ein anderes Rollenmodell entwickelt oder intuitiv gefunden haben. Weshalb sich die zwölfjährige Helene von sich aus bei der Autorin meldet, weil auch sie etwas zu ihrem Vater sagen möchte. „Ich finde, ich habe einen unglaublich tollen Papa. Ich könnte mir keinen besseren vorstellen.“

So changiert das Buch gekonnt zwischen der persönlichen Auseinandersetzung mit dem eigenen Vater, kenntnisreichen Hinweisen aus Fachliteratur, zwischen der Schwere, die dem Vaterthema nicht erst seit Kafkas Brief an den Vater anhaftet, und der Leichtigkeit junger Väter.

Susann Sitzler: Väter und Töchter. Klett-Cotta, 2021

In der Rubrik Rezension finden Sie eine Besprechung des Buchs Geschwister, ebenfalls von Susann Sitzler.