Löffel in einer Suppe mit Bohnen neben einem Buchumschlag, auf dem steht "Das Parfum des Todes"

Die einzige Spur: der Duft eines Parfüms

Ein Gastbeitrag von Monika Li über den Kriminalroman Das Parfüm des Todes der taiwanischen Autorin Katniss Hsiao

Die Tatortreinigerin Yang Ning kann aufgrund eines Traumas nur riechen, wenn sie sich am Geruch des Todes berauscht. Bis sie eines Tages den Auftrag erhält, eine Wohnung zu reinigen, in der jemand umgebracht wurde. Plötzlich wird sie zur Hauptverdächtigen und macht sich auf die Suche nach dem wahren Mörder, der als einzige Spur den Duft eines Parfüms hinterließ.

„Nichts bedeutet irgendwas, das weiß ich seit Langem. Deshalb lohnt es sich nicht, irgendetwas zu tun.“ Damit zitiert die Tatortreinigerin Yang Ning einen Jungen, der in der nihilistischen Parabel Nichts – was im Leben wichtig ist der dänischen Autorin Janne Teller den Sinn des Lebens radikal in Frage stellt. Getrieben von der Provokation des Jungen, tragen die Klassenkameraden in Tellers Geschichte einen Berg voller Dinge zusammen, die ihnen etwas bedeuten.

Am Tatort

Man könnte meinen, Hsiao habe die dänische Parabel nach Taiwan verlegt, um sie mit der Figur Yang Nings herauszufordern. Auch Yang Ning wurde der wichtigste Mensch in ihrem Leben entrissen: Ihr jüngerer Bruder beging Selbstmord. Seitdem versagt ihr absoluter Geruchssinn vollkommen und kann nur für kurze Zeit wiederhergestellt werden, wenn Yang Ning den Ausdünstungen von Leichen ausgesetzt ist. Sie stürzt sich in die Arbeit, um sich am Geruch des Todes zu berauschen, bis sie eines Tages selbst zur Hauptverdächtigen wird.

„Geruch ist das Medium der Liebe und des Geliebtwerdens“ wird man im Verlauf der Geschichte vom wahren Mörder erfahren. Mit dem Verlust ihres Geruchssinns versinkt Yang Ning in einem Strudel der Leere, hinter einer Mauer, durch die auch die Liebe ihres fürsorglichen Exfreunds Xu Haoyang nicht durchzudringen vermag. Aus dem Schmerz ihrer seelischen Verletzung schöpft Yang Ning eine gigantische Kraft, die sie drängt herauszufinden, wer sie in diese Falle gelockt hat. Um die Denkweise des Täters zu verstehen, freundet sich Yang Ning mit einem Serienmörder an.

Es scheint, als müsse sie auf der Suche nach dem Mörder zum Monster werden, wie die Kinder aus Tellers Roman auf ihrer Suche nach dem Sinn des Lebens. „Bevor wir Monster wurden“ lautet daher auch der Originaltitel des Romans, dessen deutsche Übertragung Parfüm des Todes den olfaktorischen Aspekt betont. Bei Teller bleiben die Kinder, die in Nichts zu Monstern werden, schemenhaft, man erfährt wenig über ihre persönlichen Geschichten und Gefühle. Hsiao hingegen nimmt die Leserschaft an die Hand und zieht sie ganz nah an die Wunden in Yang Nings Seele heran, führt sie bis zu ihrer Mutter nach Hause, enthüllt Yang Nings verzweifelt traurige Wut, die sich hinter ihrer impulsiven, rohen Fassade verbirgt.

Riechen und Fühlen und Essen

„Setz deine Maske auf“ war ein Romantitel, den die Autorin selbst in Erwägung gezogen hatte, wie sie im Nachwort des Originals schreibt. Sie reißt den Figuren die Masken vom Gesicht, entblößt ihre Ängste, ihre Sehnsüchte, ihre innerlichen Kämpfe, ihren Humor, – bis wir uns selbst in den Monstern erkennen. Auch uns läuft das Wasser im Mund zusammen, wenn Hsiao den Duft der süßen roten Bohnensuppe beschreibt, wie sie ihren Bubble-Tea schlürfen oder genüsslich in das zarte Lammfleisch beißen. Mit den sinnlichen Beschreibungen des Essens hat Hsiao einen zentralen Aspekt taiwanischer Kultur in ihr Werk eingeflochten, dessen scheinbare Harmlosigkeit in schaurigem Kontrast zur Kriminalgeschichte stehen mag, sich aber beim genaueren Hinsehen stimmig in den Roman als Beziehungsgeschichte einfügt, denn Beziehungen jeder Art werden in Taiwan über das gemeinsame Essen aufgebaut, gepflegt und ausgedrückt.

Was ist ein Kriminalroman? Karen Witthuhn definiert ihn als eine Erzählung, in der Werte und die Frage nach Gut und Böse verhandelt werden und wie Gewalt interpretiert wird. Hsiao tut dies in Das Parfüm des Todes mit einer wuchtigen Brillanz, die Das Schweigen der Lämmer und Das Parfum – die beiden Werke, mit denen man den Roman vielleicht zunächst vergleichen möchte -, verblassen lässt. Hsiao selbst spielt zwar mit diesen Vergleichen, unter anderem durch Yang Nings Lieblingsspeise Lammfleisch und ihren Spitznamen „Lämmchen“, wie sie der befreundete Serienmörder nennt. Dabei isst Yang Ning zwar gerne Lamm, ist aber keineswegs lammfromm. Trotz der Widrigkeiten ihres Schicksals weigert sie sich eindrucksvoll, dem Nihilismus zu verfallen, lehnt sich kraftvoll gegen die vermeintliche Ausweglosigkeit ihrer Situation auf und gibt die unmöglich scheinende Suche nach dem wahren Mörder nicht auf. Wird Yang Ning zu einem der Kinder aus Tellers Parabel? Die Frage nach Gut und Böse bleibt bis zum überraschenden und angenehm unversöhnlichen Ende offen. Beantworten muss man sie sich selbst.

Beim Lesen vergisst man, dass man eine Übersetzung in den Händen hält, was der großartigen Arbeit von Karin Betz zu verdanken ist. Sie hat den Stil und den Ton Hsiaos so gut getroffen und die Eigenheiten chinesischer Sprache und taiwanischer Kultur so natürlich übertragen, dass die deutsche Übersetzung dem taiwanischen Original in nichts nachsteht. Nicht zuletzt aufgrund der größeren Anforderung an Präzision und Kohärenz, die eine deutsche Leserschaft fordert, wurde der Roman durch das Lektorat des Herausgebers Thomas Wörtche verfeinert.

Katniss Hsiao: Das Parfum des Todes. Aus dem taiwanischen Chinesisch von Karin Betz. Suhrkamp Verlag 2024, 486 Seiten

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