Im Meer aufwachen

Im Meer aufwachen – Gedichte von Tsai Wan-Shuen

Eines Morgens sagte Tsai Wan-Shuens Tochter Ameng beim Blick aufs Meer: «Ich möchte im Meer aufwachen.» So entstand diese Sammlung mit 22 Gedichten – als Gespräch zwischen Mutter und Tochter. Manche Aussage der Tochter hat Tsai Wan-Shuen ergänzt und in ihrer Muttersprache Taiyu, also Taiwanisch, niedergeschrieben. Erst bei der Drucklegung übertrug sie die Gedichte selbst ins Standardchinesisch, aus der wiederum die Gedichte übersetzt wurden.

Die Sammlung ist in drei Teile gegliedert. Das erste Kapitel trägt die Überschrift „Ameng spielt mit dem Meer“. Da war die Tochter zwei Jahre alt, und die Familie lebte auf der Insel Penghu, wo Tsai Wan-Shuen geboren und aufgewachsen ist. Als Ameng fünf wurde, entstand der Zyklus „Zeit in den Bergen“, und die Familie zog nach Xindian, ein Vorort südlich von Taipei gelegen. Der letzte Zyklus „Mondschilf“ ist als ein Nachsinnen der Lyrikerin selbst zu verstehen. Hat sie zuvor versucht, den Kinderblick relativ direkt einzufangen, spricht sie nun aus ihrer Perspektive über die Zusammenhänge Natur, Kind und Leben.

Mondschilf
Scheint der Mond, ist er mehlweiß.
Scheint der Mond, ist er gelb.
Das Herz des Mondes aber
ist schilfgrün und hell.
Die flirrenden Gräser
blenden die Frau im Mond
und sie wispern
ohne Wurzel, ohne Schatten,
tanzen eine Nacht lang.
An allen Küsten dieser Welt
tun sie es ihnen gleich
tage- und nächtelang
schaukeln und leuchten.

Tsai Wan-Shuen: Im Meer aufwachen
Gedichte, zweisprachig – Chinesisch, Deutsch
Aus dem taiwanischen Chinesisch von Alice Grünfelder

70 Seiten, Broschur
ISBN 978-3-943314-82-3
erscheint im Oktober im Drachenhaus Verlag
www.drachenhaus-verlag.com

Ebenfalls von Tsai Wan-Shuen ist der Band Küsten im Hochroth Verlag erschienen.