Friede Bunker

Ungehorsam für den Frieden

Ende der 1970er Jahre spitzte sich der Kalte Krieg zwischen der Sowjetunion und den USA erneut zu. 1983 ließ die NATO Nuklearraketen in der Bundesrepublik Deutschland und in anderen westeuropäischen Ländern stationieren. Vor allem die schwäbische Gemeinde Mutlangen rückte damals als Standort von Pershing-II-Raketen in den Fokus der Friedensbewegung und der Öffentlichkeit. Weil ich darüber ein Buch geschrieben habe, stellte ich Richard Rohrmoser fünf Fragen zu seiner Dissertation zu diesem Thema. Darin beschreibt er die Entwicklung Mutlangens zu einem Symbolort der Friedensbewegung.

Wie kamst Du ausgerechnet auf die längst vergessene „Friedensbewegung in Mutlangen“?

Ich habe mich schon während des Studiums recht intensiv mit dem NATO-Doppelbeschluss und der bundesdeutschen Friedensbewegung beschäftigt, zumal mein Doktorvater viel dazu publiziert hat. Auf der Suche nach einem eigenen Promotionsthema bin ich in einem Buch auf einen Flyer mit dem Slogan „Unser Mut wird langen!“ gestoßen. Dies hat mein Interesse geweckt und nachdem die ersten Zeitzeug:innen spannende Einblicke in das noch stark untererforschte Thema lieferten, war mir klar, dass ich darüber meine Doktorarbeit schreiben werde.

Was hat Dich bei Deinen Recherchen am meisten überrascht?

Zum einen, dass sich zuvor tatsächlich noch niemand im größeren Ausmaß wissenschaftlich mit diesem Themenkomplex beschäftigt hat; zum anderen die große Bereitschaft sämtlicher Zeitzeug:innen, über das Geschehene zu berichten und die Ereignisse aufzuarbeiten. Dementsprechend ergiebig und hilfreich waren auch die Gespräche mit den Zeitzeug:innen.

Gab es einen Widespruch zwischen Deinen Forschungsergebnissen und dem, was Du vor Ort durch Gespräche herausgefunden hast?

Einen eklatanten Widerspruch konnte ich eigentlich nicht feststellen, aber die Gespräche vor Ort haben insbesondere die „Geschichte der Emotionen“, also die Furcht vor einem nuklearen Schlagabtausch oder einer nuklearen Katastrophe, sehr viel anschaulicher und konkreter gemacht. Davon hat meine Dissertation, denke ich, enorm profitiert.

Auf mich wirkte damals die Ablehnung der örtlichen Bevölkerung gegenüber den „fremden“ Friedensaktivisten recht hermetisch. Wie ist Dein Eindruck?

In Bezug auf den Protest in den 1980er Jahren kann ich dies absolut bestätigen. Interessanterweise habe ich in meinen Gesprächen aber doch sehr den Eindruck gewonnen, dass die lokale Bevölkerung inzwischen fast schon einstimmig stolz auf die Protestgeschichte der Gemeinde ist und die Ereignisse von damals – insbesondere die Reaktionen vieler Einwohner:innen auf die angereisten und zugezogenen Friedensaktivist:innen – etwas verklärt.

Wie könnten Erkenntnisse aus der Friedensbewegung in Mutlangen für die Gegenwart wieder fruchtbar gemacht werden?

Richard Rohrmoser

Ich denke eine zentrale Erkenntnis aus der Protestgeschichte der 1980er Jahre ist, dass es stets das zivilgesellschaftliche Engagement ist, das entscheidende Impulse auf Richtung, Tempo und Intensität des sozialen Wandels ausübt. Die Aktionen engagierter Bürger:innen haben Reaktionen des Staates zur Folge. In diesem Sinne ist explizit zu betonen, dass die Sitzblockaden von Mutlangen in der Öffentlichkeit deutlich wahrgenommen wurden: Nicht nur im Ostalbkreis, sondern in Baden-Württemberg, in der ganzen Bundesrepublik und sogar darüber hinaus!

Richard Rohrmoser: Sicherheitspolitik von unten. Ziviler Ungehorsam gegen Nuklearrüstung in Mutlangen, 1983–1987. Campus-Verlag, 2021, 460 Seiten.