… durch kurze lärmige Texte.
Lärmend ist dieses Endlos-Haiku von Franz Dodel wahrlich nicht, das sich auf 602 Seiten dahinschreibt und noch lange nicht zu Ende geschrieben ist, ein „Geflecht das freundlich bleibt“, sich ins Ungefähre träumt, nur um Zeilen, Seiten später sich im Gespinst des Alltags zu verfangen. Hart ist der Aufprall, doch man lasse sich nicht täuschen, denn der Aufschwung ist so sicher wie das strenge 5-7-Vermaß des Haikus. So ist dieses Wogen der Zeilen mal ein Abbild der Welt, die auf der gegenüberliegenden Dünndruckseite zitiert wird, wenn sich der Lyriker von ihr inspirieren ließ – mal sind die Reflexionen voller Zweifel und Gewissheit, dass nichts zu trösten vermag, denn: „Wenn das Herz einmal krank ist / und es den Worten / auch noch an Ordnung mangelt / was hält die Dinge / überhaupt noch zusammen?“ (zitiert nach Liu Zongyuan).
Doch es bleibt nicht beim subjektiven Bild, beim sinnlichen Auskosten der Farben (Welches Gelb ist Nankinggelb, wie schmeckt trinkbares Gold?), der Blick weitet sich gelegentlich über Waldränder und Stadtlandschaften, um sprichwörtlich im Keller zu landen und auf verstörende Weise eine Mitteilung aus der Budapester Zeitung aufleuchten zu lassen:
oder weshalb merkt niemand
dass einer schläft
im Keller des Hauses das
man abreißt vielleicht
ein Obdachloser aus dem
elften Bezirk die
Feuerwehr barg den Toten.
Wie liest man dieses Buch, habe ich mich so manches Mal gefragt angesichts des bunten Blätterwalds aus Post-it-Zetteln und Lesezeichen, um später zurückkehren zu können zu einem flüchtigen Gedanken, einem reizvollen Bild? In diesem auf viele Jahre angelegten Kettengedicht gibt der Autor auf den letzten Seiten einen Hinweis: „Unbeschwert blättere ich / nach vor und zurück / ohne Verpflichtung kann ich / jederzeit grundlos / das Verstehen verweigern.“ Die Zeilen drehen sich in einem fort, und auf die Folter lässt sich derjenige spannen, der nach dem einen, endgültigen Sinn sucht, denn der wird vorenthalten, da hilft im Silben- und Lektürerausch auch das immer schnellere Lesen und Blättern nichts. Indes weht einen so manche Silbe, mancher Gedanke noch Tage später an, wenn man – Dodel sei dank! – ganz anders in die Welt blickt:
Ich habe lange
weit in die Landschaft geschaut
bis ich merkte mein
Blick glitt einer Fassade
entlang hinauf um
über den Dachrand in den
Himmel zu kippen.
Franz Dodel: Nicht bei Trost. Haiku endlos. Edition Korrespondenzen. Wien 2008.