Lykische Küste

Gastbeitrag von Ines Balcik.

„Kein Ort der Welt kann schöner sein als die westlichen und südlichen Küsten der Türkei“, schrieb einst Freya Stark. Die britische Forschungsreisende und Reiseschriftstellerin erkundete in den 1950er Jahren die lykische Küste „auf den Spuren Alexanders des Großen“ (Originaltitel: Alexander’s Path).

Blick vom Baba Dağı (1.969 m) bei Fethiye

Weite Strecken ihrer Reise legte Freya Stark im Sattel eines Pferdes zurück. Denn selbst Jeeps streikten Mitte des vorigen Jahrhunderts noch auf den unzureichenden Verkehrs-wegen in der zerklüfteten Berglandschaft südwestlich von Antalya.
Diese Zeiten sind natürlich vorbei. Längst ist die Küstenstraße ausgebaut, Tunnel erschließen einst unwegsames Gelände und der Massentourismus hat auch dort Einzug gehalten, wo die Taurusberge direkt ins Meer abfallen.

 

Ich kenne und liebe die lykische Küste, seit mein Mann und ich Anfang der 1990er Jahre mit unseren damals kleinen Kindern einige Jahre in Antalya lebten und die Küste zu Wasser und zu Land erfuhren und erwanderten. Bevor Touristen aus aller Welt die Strände der Südtürkei für sich entdeckten, zogen Einheimische im Sommer lieber hinauf in die Berge, um der Hitze am Meer zu entfliehen. Heute kann man auf dem Lykischen Weg insgesamt 509 Kilometer von Fethiye nach Antalya an der Küste und in den Bergen wandern – und dabei viel entdecken. Imposant sind zum Beispiel die lykischen Sarkophage und Felsgräber, die an eine der Kulturen erinnern, die in Kleinasien ihre Spuren hinterlassen haben.

Strand von Patara

Noch viel mehr Interessantes ließe sich über die Lykier berichten, die bereits Homer mehrfach in der Ilias erwähnt. Zum Beispiel diente der Lykische Bund, ein Zusammenschluss von Städten, der seit dem 3. Jh. v. Ch. über mehrere Jahrhunderte bestand, als Vorbild beim Entstehen der amerikanischen Verfassung von 1787. Auch mit Theorien zum Matriarchat werden die Lykier in Zusammenhang gebracht: Dem Schweizer Altertumsforscher Johann Jakob Bachofen dienten sie als Paradebeispiel für eine Welt, in der die Frauen das Sagen hatten. 1861 erschien seine Schrift „Das Mutterrecht: eine Untersuchung über die Gynaikokratie der alten Welt nach ihrer religiösen und rechtlichen Natur“, deren Thesen, wen wundert es, vielfach umstritten sind.

Zu den bedeutendsten Städten Lykiens gehörte Patara, das heute für seinen kilometerlangen Sandstrand berühmt ist. Als Brutgebiet für die Karettaschildkröten steht er unter Naturschutz und bleibt von Bettenburgen verschont. Durch die Dünen und die teilweise ausgegrabenen Ruinen der antiken Stadt (in der im 3. Jh. Nikolaus von Myra geboren wurde) zu wandern, fasziniert mich. Besonders reizvoll finde ich die Reste des antiken Leuchtturms, eines der ältesten der Welt. Erst im Jahr 2004 wurde er im Sand entdeckt, der weitgehend den antiken Hafen im Mün-dungsgebiet des Xanthos (heute: Eşen Çayı) bedeckt.

Wenn mein Mann und ich heute segelnd an der Küste unterwegs sind, ausgerüstet mit GPS, Funk und weiteren technischen Mitteln unserer Zeit, und dabei doch froh über jedes Leuchtfeuer sind, das uns den Weg weist, dann denke ich voller Hochachtung an die Seefahrer der Antike. Welcher Mut gehörte dazu, sich hinaus aufs Meer zu wagen. Menschliche Neugier im besten Sinne zeigt sich in vielen Facetten.

Ines Balcik ist freie Lektorin und Sachbuchautorin (www.ib-klartext.de). Sie lebt in Hessen und immer öfter auf Reisen, stets mit mobilem Büro im Gepäck.
Diesen Text hat sie im Rahmen des Texttreff-Blogwichtelns 2016 geschrieben.