Die Schreibtrainerin und Autorin Anette Huesmann im Gespräch mit Alice Grünfelder
Kann man das? Sämtliche Buchgenres, die sich im Laufe der letzten Jahrhunderte entwickelten, auflisten mit Charakterisierungen, Beispielen und Literaturhinweisen? Auch wenn sich in manchen Büchern und auch Top-Sellern die Genres überschneiden, was Verlage wenig und Buchhändlerinnen noch weniger goutieren – welcher Code, in welches Regal nur? – ist es vielleicht gerade ein Genre-Mix, der spannend sein kann. Jedenfalls habe ich das so erfahren bei meinem Wüsten-Reise-Abenteuer-Frauenroman „Die Wüstengängerin“. Was hat nun die Schreibtrainerin Anette Huesmann bewogen, Klarheit in die Vielzahl der Genres zu bringen?
Was war der Auslöser für dieses Buch?
Ich gebe seit etlichen Jahren Workshops zum kreativen Schreiben. Von den TeilnehmerInnen meiner Kurse werde ich oft nach Buchgenres gefragt. Besonders bei den Subgenres sind sich viele nicht darüber im Klaren, welche Subgenres es eigentlich gibt, was genau man darunter versteht bzw. was die Genre-Konventionen sind? Vor einigen Jahren habe ich dann angefangen, die Buchgenres, die ich kannte, zu sammeln, die Genre-Konventionen zu formulieren und auf meinem Blog zu veröffentlichen. Im Laufe der Zeit wurde die Liste immer länger, und vor einem Jahr habe ich dann beschlossen, daraus ein Buch zu machen. Denn auf meinem Blog kann ich nur die wichtigsten Genres benennen und in Stichworten beschreiben. In meinem Buch sind viel mehr Subgenres benannt und im Detail erläutert.
Wie ist es entstanden, wie bist du vorgegangen?
Am Anfang habe ich die Arbeit total unterschätzt. Zu Beginn dachte ich, es gibt vielleicht 30 der 40 Genres oder Subgenres. Doch im Laufe der Zeit wurden es immer mehr. Denn natürlich habe ich auf einmal Literaturzeitschriften, Rezensionen und Berichterstattungen über Buchmessen mit ganz anderen Augen gelesen. Und plötzlich tauchten immer wieder neue Subgenres auf, von denen ich noch nie gehört hatte! Schließlich war meine Neugierde geweckt, und ich begann zu recherchieren.
Außerdem war mir schnell klar, dass ich gern die Entstehung der Genres beschreiben möchte – soweit diese bekannt ist. Das hat mich zusätzlich viel Arbeit gekostet. Bei vielen Subgenres musste ich erst mühsam herausfinden, wann die ersten Bücher aufgetaucht sind und was die Geschichten charakterisiert hat.
Am Ende war ich selber überrascht, wie viele Genres und Subgenres es gibt. Bei eher unbekannten Begriffen musste ich immer neu entscheiden: Mache ich daraus einen eigenen Eintrag, ist es ein Synonym eines bereits bekannten Genres oder wird die Bezeichnung nur ein einziges Mal von einem einzelnen Menschen verwendet? Meist habe ich zu Beginn gegoogelt und in germanistischen Fachbüchern nachgeschlagen. Wenn ich gemerkt habe, dass eine Bezeichnung praktisch nirgendwo auftaucht, weder im Internet noch in Nachschlagewerken, habe ich neu überdacht, ob ich die Bezeichnung wirklich mit reinnehme. Meist habe ich neue Begriffe nur mitgenommen, wenn sie in verschiedenen Medien auftauchen und von mehreren Menschen benutzt werden.
Wie hast Du die vielen Literaturhinweise recherchiert?
Da bin ich durch sämtliche Internetseiten gesurft, auf denen Beschreibungen von Büchern zu finden sind: Amazon, Goodreads, Google Books, Projekt Gutenberg usw. Bei manchen, seltenen Subgenres war es tatsächlich sehr mühsam, zwei Lektüretipps zu finden. Aber da war ich dann einfach hartnäckig und habe nicht aufgegeben, bis ich was Passendes gefunden hatte.
Ein paar Bücher tauchen als Beispiel gleich bei mehreren Genres auf, warum?
Neue Subgenres entstehen oft, weil ein Buch erscheint, das ganz klar einem Genre zugehört, aber ganz neue charakteristische Inhalte hat. Das können außergewöhnliche Ideen sein oder außergewöhnliche Themen, Wendungen, Schauplätze oder Charaktere. Diese Bücher sind gleichermaßen genretypisch und einzigartig. Dann kommen Bücher anderer AutorInnen hinzu, die das Neue auf eine ähnliche Weise aufgreifen. So entwickelt sich im Laufe der Zeit ein neues Subgenre, weil immer mehr Bücher mit dieser neuen Charakteristik entstehen. Das erste Buch, das den Trend gesetzt hat, ist ein wichtiger Meilenstein – sowohl für das übergeordnete Genre als auch für das neue Subgenre, das daraus entstanden ist. Deshalb war es mir wichtig, dieses Buch sowohl als Beispiel beim übergeordneten Genre als auch beim Subgenre zu nennen.
Du bist ja auch Schreibtrainerin – was empfiehlst Du Autoren in puncto Genre, sichtest Du das Material und sagst dann, halten Sie sich an z.B. die Struktur eines Entwicklungsromans? Oder empfiehlst Du Regional-Krimis, weil Verlage momentan danach suchen? Wie hältst du es mit Genre-Mix?
Meine wichtigste Empfehlung: Schreib das Buch, das dich selber begeistert. Ganz egal, ob es einem bestimmten Genre oder Subgenre zugeordnet werden kann oder nicht. Aber ich sage dann auch offen, dass Bücher, die sich nicht klar zuordnen lassen, schwerer zu vermarkten sind. Egal, ob man dafür einen Verlag sucht oder im Selfpublishing LeserInnen direkt ansprechen möchte. Oft stellt sich heraus, dass es nur kleine Veränderungen braucht, damit das Herzens-projekt die Genre-Konventionen eines bestimmten Genres berücksichtigt. Wenn man sich bzw. seine Geschichte dadurch nicht verbiegt und es immer noch das Herzensprojekt bleibt, lohnt sich die kleine Anpassung – weil sich das fertige Buch leichter vermarkten lässt. Aber wenn jemand für eine Geschichte brennt, genau so, wie sie ist, und diese Geschichte passt in keine Schublade – dann würde ich dazu raten, diese Geschichte genau so zu schreiben. Es lohnt sich nicht, für einen kleinen Marketingvorteil die eigene Geschichte zu verraten. Dann verliert man die Freude daran und damit auch die Chance, dass daraus ein richtig gutes Buch wird.
Du hast das Buch selbst verlegt über BoD, war das von Anfang an so geplant?
Ja, das hatte ich von Anfang an vor. Mir ist es wichtig, dieses Buch aktuell zu halten. Jedes Jahr kommen neue, erstaunliche Bücher heraus und entstehen neue Subgenres. Ich pflege eine Liste mit Begriffen, die bisher noch nicht im Buch drin sind. Fast jede Woche kommen neue Begriffe hinzu. Diese Aktualität ist am ehesten im Selfpublishing möglich. Ich kann in unregelmäßigen Abständen immer wieder neu entscheiden, ob sich jetzt eine Aktualisierung und damit eine Neuauflage lohnt.
Anette Huesmann ist Germanistin und Sprachwissenschaftlerin, schreibt Krimis und Kinderbücher, und als Schreibtrainerin vermittelt sie in Workshops, wie man Bücher schreibt.
Anette Huesmann: Buchgenres kompakt. Handbuch der Genres von Actionthriller bis Zeitgeschehen. Zu beziehen z.B. über Autorenwelt, geniallokal oder die Website von Anette Huesmann: www.die-schreibtrainerin.de.