... einverstanden? Sonst gäbe es womöglich den neuen Gedichtband von Nathalie Schmid nicht? Ein Interview.
Was passiert, wenn ich ein Gedicht lese? Wie wirft es einen Köder aus, fängt mich ein? Erklären kann ich es nicht genau, aber wenn die Zeilen etwas auslösen, das mag ein kurzes Stolpern beim Lesen sein, ein Blitz, ein Feuer … So ist es mir mit Nathalie Schmids Gedichtband Gletscherstück ergangen und nun mit ihrem neuen Band Ein anderes Wort für einverstanden. Was mir besonders gefällt: Der Band ist vielstimmig und nicht monothematisch, die Form wird nicht dem Inhalt übergestülpt, sondern scheint organisch mit dem Inhalt verwoben.
Die Gedichte in Deinem neuen Band lesen sich stellenweise wie eine Rückschau auf ein Leben, auf Dein Leben? Ein bewusstes Voranschreiten, ein Rückblick in Versen?
Die Themen, die mich beim Schreiben dieses Bandes beschäftigten, haben durchaus etwas mit einer Bewusstwerdung zu tun, mit der Frage nach Identitäts- und Rollenbildung, Prägungen und Einfluss auf das eigene Werden. Insofern macht es Sinn, dass sich die Reihenfolge der Kapitel auch wie eine Art Rückschau lesen.
Im Kapitel über „Iris“ fällt das besonders auf, als sinniere eine reife, weise Frau über ihr Leben.
Iris ist die Personifizierung einer Frau, die älter ist, ja. Sie durchläuft in ihrem Kapitel eben diesen Prozess des Innehaltens und der Vergegenwärtigung: Wer bin ich gewesen und wer bin ich geworden. Dadurch erlangt sie eine Art Weisheit und eine gewisse Ruhe. Sie sortiert ihre Vergangenheit aus und entledigt sich alter Themen.

Auffällig ist, wie gut Form und Inhalt zusammengehen. Mal sind die Verse eher formal streng gehalten, dann wieder lässt Du die Zeilen non-chalant fliegen. Manche Gedichte sind fein ziseliert, das Sterben der Großmutter ist eher als beschwörende Prosa angelegt.
Da ist zuerst das Thema, dem ich mich durch das Schreiben annähere und das rasch eine bestimmte Form verlangt, die sich mir zeigt, wenn ich weiter mit dem Text arbeite. Bei den Texten zum Sterben war zum Beispiel schnell klar, dass ich dieses Gefangensein im Körper, dieses Nicht-Sterben-Können in einer Form zeigen will, die das Eingesperrt-sein darstellen soll. Ich hatte Betonblöcke vor Augen, aus denen nicht auszubrechen ist, und dieses Bild gab den Texten diese bestimmte Form.
Sich auflehnen und sich dann doch nicht trauen: Das scheint mir ein Thema in Deinem Werk zu sein – auch in Deinem Roman Lass es gut sein – und taucht hier im im Gedicht „Am See“ auf. „Ich will sagen hey lass das aber ich / trau mich nicht. Sie ist / eine Kriegerin mit Kampferfahrung / sie würde mich wegfegen mit einem Ruck.“
Ein Thema bei mir ist sicher die Auseinandersetzung mit einengenden Konventionen. Wo geben sie Halt und Sicherheit, wo fungieren sie als Gefängnis und hemmen Entwicklung und Originalität? Wann wendet sich Höflichkeit gegen einen selbst, weil man nicht Nein sagen kann oder sich nicht zu wehren traut, und wo braucht es zwingend Höflichkeit und Rücksichtnahme, damit ein Zusammenleben funktionieren kann? Solche Fragen beschäftigen mich.
„Wasser“ ist ein zentrales Motiv in diesem Gedichtband, oft und in vielerlei Zusammenhängen ist von Flüssen die Rede, ohne diese bedeutungsschwer zu überfrachten.
Ich lebe im Kanton Aargau, in der Nähe des Wasserschlosses, wo Limmat, Aare und Reuss zusammenfliessen. In dieser Gegend ziehen sich die Flüsse wie Wege durch die Landschaft und prägen das Lebensgefühl, den Raum, in dem ich mich bewege. Ich fühle mich dem Fluss als Wasserkörper sehr verbunden und möchte ihm literarisch gerne ein Denkmal setzen.
Eine Stelle über Wurzeln hat mich gewundert, vor allem im Zusammenhang mit dem derzeit populären Nature Writing, dem Du Dich allerdings nicht andienst. „Er weist auf das Wurzelgeflecht der Tannen hin. Wie es in die Breite geht nicht in die Tiefe wie sippenhaft sie sich gesellen.“ Wie willst Du das verstanden wissen?
Ob eine Pflanze flach oder tief verwurzelt ist, hängt nicht nur von ihrer Art, sondern auch von der Bodenbeschaffenheit ab. Ich finde, das lässt sich durchaus auch auf Bedingungen für Beziehungen übertragen, auf Familiensysteme oder Gemeinschaften, unter welchen Bedingungen und in was für einem System sie funktionieren und gedeihen können.
Allen Kapiteln sind Gedichte von Autor:innen vorangestellt. Welche Bezüge möchtest Du damit herstellen?
Die Auszüge am Anfang der Kapitel sind Mottos, die einen Hinweis geben, wohin die Reise im Kapitel geht. Vielleicht können sie als eine Art Wegweiser gelesen werden, der dennoch vieles offenlässt. Bezüge möchte ich eher mit den Zitaten herstellen, die als Zeilen in die einzelnen Gedichte Eingang gefunden haben und so einen Kanon zeigen, den ich gelesen habe, der mich beschäftigte und beeinflusste, während ich an den Texten arbeitete. Das habe ich schon in meinem letzten Gedichtband gemacht mit Autorinnen wie Anne Carson, Eileen Myles, Sheila Heti … So eröffnet sich ein Echoraum, den ich mit anderen Autorinnen und ihrem Werk teile und der für mich sehr wichtig ist. Den wollte ich gerne aufzeigen und einweben.
Nathalie Schmid: Ein anderes Wort für einverstanden. Gans-Verlag, 2025, 128 Seiten.