Himmel über Saigon

Die Geflüchteten versammelt acht Erzählungen, angesiedelt in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Sie erzählen von Menschen, die in den Monaten und Jahren nach dem Fall von Saigon aus Vietnam geflüchtet sind, erzählen von schmerzlichen Rückblicken und der Unmöglichkeit anzukommen, aber auch von der Begleichung noch offener Rechnungen, die aus der alten Heimat herrühren.

Die Charaktere in den Erzählungen kennt man zum Teil bereits aus Viet Nguyens Roman Der Sympathisant, hier tauchen sie wie auf einer Bühne erneut auf und werden in einem anderen Licht beleuchtet. In der Erzählung „Kriegsjahre“ wird beispielsweise vieles angerissen, was im Roman ausgeführt wurde. In anderen Erzählungen wiederum treten Figuren auf, die in Der Sympathisant an den Rand gedrängt wurden.

Das Thema in „Transplantation“ meint man allerdings anderswo schon gelesen zu haben. Der Empfänger einer Leber findet den Menschen, der ihm das lebensrettende Organ gespendet hat. Im Laufe der Erzählung stellt sich indes heraus, dass es sich um ein Missverständnis handelt, schließlich leben in den USA unzählige Vietnamesen mit Namen Vu, es entsteht eine falsche Dankbarkeit, die wiederum in Erpressung mündet. Die Geschichte und deren Ende bleibt relativ absehbar.

Um eine gescheiterte Ehe geht es in „I’d love you want me“; in „Die Amerikaner“ versinkt ein Vater, der seine Beteiligung im Krieg in Vietnam nie bereut hat, in Selbstmitleid, weil seine Tochter ihn einfach nicht verstehen will. In „Vaterland“ besucht die vermeintlich reiche ältere Schwester die zurückgebliebene erste Familie des Vaters in Vietnam; der vorgegaukelte Reichtum wird spät erst entlarvt, als die jüngere Halbschwester die Ältere bittet, sie mit in die USA zu nehmen. So verflüchtigen sich Illusionen im weiten Himmel über Saigon.

Die Erzählungen lassen sich als Erweiterung des Romans lesen, in diesem Panoptikum erfahren sie allerdings keine Zuspitzung, die Figuren bleiben blass und die Plots skizzenhaft – die kurze Form scheint Viet Than Nguyen weniger zu liegen. Gleichwohl stehen die Texte stellvertretend für die Asian-American Literature – mit der für diese Literatur typischen Beschreibung von Zerrissenheit, einer zum Teil traumatischen Vergangenheit und der beständigen, quälenden Suche nach einer Identität.

Viet Than Nguyen: Die Geflüchteten. Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Müller. Blessing-Verlag, 2018.

 

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