Sie hatten sich nicht abgesprochen, von Anfang an war alles klar gewesen, eine spontane Einladung. „Wenn du schon in Berlin bist an deinem Geburtstag … Ich lade ein paar Freunde ein, du bringst ein paar Leute mit. Lass mich nur machen.“
In den letzten Jahren war er fast jeden Winter in Europa oder den USA, um über die Erhaltung tibetischer Architektur zu referieren. Mit viel Idealismus und erstaunlichem Durchhaltevermögen hatte er es – keiner weiß wie – geschafft, die Behörden in Lhasa zu überzeugen, einzelne Häuser zu renovieren und dafür eigens Handwerker aus entferntesten Regionen zu holen. Woher er wusste, dass gerade dieser oder jener alte Tibeter sich noch darauf verstand, den Lehm fürs Dach richtig zusammenzumischen, damit der kein Wasser durchließ? Oder das Reisig richtig zu bündeln, das als Abschluss unterhalb der Mauerkronen eingesetzt wurde? Er habe erst einmal mit einem alten Arbeiter angefangen, der sich erinnerte, dass ein anderer, mit dem er einst den Sommerpalast renoviert hatte, diese alte Handwerkskunst beherrsche und auch noch am Leben sei. Und der meinte wiederum, in jenem Ort sei einer, der doch damals dieses Haus gebaut habe. So kam ein Trupp zusammen, der Stein um Stein, Stock um Stock Häuser in Lhasa instand setzte. Zum Abschluss tanzten die Handwerker und Arbeiterinnen im Wechselgesang auf dem Dach, klopften dabei mit Holzpflöcken und stampften mit den Füßen den Lehm eben. Bis es eines Tages den Behörden in Lhasa zu viel wurde. Nur was? Neideten sie sie ihm die Spendengelder, die er im Laufe der Jahre akquirierte? Gönnten gewisse private Bauunternehmer ihm den Erfolg nicht, weil jeder nur noch in seinen Häusern wohnen wollte? Über Nacht wurde ihm die Bewilligung entzogen, an dem Projekt weiterzuarbeiten, ja sich überhaupt in Lhasa aufzuhalten.
Kurze Zeit später hieß es, er baue in Osttibet ein Kloster auf, und in Berlin hielt er in einem Wintermonat einen Vortrag über die Renovierung der Altstadt Leh. Unerschrocken hatte er einfach immer weitergemacht, bescheiden auf seine Projekte verwiesen. Im Kurzfilm „Heritage Heroes“ wandert er durch die Straßen Lehs, hält sich aber auch hier im Hintergrund.
Ein letztes Mal hatten sich unsere Wege auf der Berlinale gekreuzt, worüber hatten wir gesprochen? Für einen Kaffee hatten wir gerade keine Zeit, es war wohl wenig mehr als Wortgeplänkel gewesen. Ein Buch würde er schreiben, meine ich mich zu erinnern, beim renommierten britischen Serindia-Verlag würde es erscheinen. Ich gratulierte ihm.
Am Morgen hatte sie wie vereinbart die letzten Einkäufe erledigt, Essen und guten Wein besorgt, Platz gemacht in der Wohnung für die Gäste am Abend. Denn bei ihm konnte man nie wissen, wie viele Freunde er mitbringen würde. Und alle waren gekommen, alle, die ihn kannten und Zeit hatten oder eben auch gerade zufällig in Berlin waren. Schön sich zu sehen, so lange war es her, alle redeten mit- und durcheinander, umarmten und fragten nach den Projekten der anderen. Die ersten Gäste gingen in die Küche und holten sich etwas zu essen, dort waren auch die Geschenke übereinander gestapelt, nur kleine und wenige, damit er sie auf der Reise zurück auch würde mitnehmen können. Der Abend zog sich hin, die Grüppchen hatten sich in verschiedene Winkel zurückgezogen mit ihren Papptellern und Getränken, bloß er war nicht erschienen. Sie hörte das Telefon klingeln. „Er wird nicht mehr kommen“, sagte sie den Gästen, als sie auflegte. Auf dem Weg zu seiner Geburtstagsfeier hatte sein Herz aufgehört zu schlagen.
Die Geschichte ist nur mein kleines Andenken an André Alexander, den Begründer des Tibet Heritage Fund. Sie beruht lediglich in wenigen Teilen auf Tatsachen, vieles wurde mir zugetragen, einiges habe ich mir zusammengereimt, womöglich falsch. Falls ich mit diesem Text irgend jemandes Gefühle verletze, möchte ich mich dafür aufrichtig entschuldigen.