Menschen fallen – wohin?

Ein Mann fällt vom Dach, so steht es in den Ankündigungen zu dieser Hongkonger Anthologie mit „urbanen Kurzgeschichten“. Doch genauer betrachtet fällt er zwischen gepunkteten Reihen hindurch, wobei jede Reihe für ein Jahrzehnt stehen könnte, und für jedes Jahrzehnt wiederum eine Geschichte. Und einige davon sind unbedingt lesenswert, allein schon, weil sie westlichen Erzählprinzipien widersprechen, weil sich Figuren unerwartet verhalten, Knoten sich verdichten und erst gar nicht aufgelöst werden.in-search-of-a-flat

In „The Game of Laughter“ von Evan Yang wird ein Mädchen auf einem Jahrmarkt angestellt, den Lohn bekommt sie Ende des Monats allerdings nur, wenn keiner sie zum Lachen bringt. Sie wird zum Jahrmarktrenner, doch schließlich wird ihr der Lohn verweigert, weil ihr Schluchzen über die Krankheit ihrer Mutter als Lacher gedeutet wird. Traurig-teuflisch ist „A Devil’s Way“ von Li Wai-Ling: ein undurchschaubarer Charakter, dessen Entwicklung sich direkt ins vermeintlich Böse hineinschraubt. Eine bizarre Szenerie beschreibt Hai Xin in „The Banquet“: Feiern in der leerstehenden Villa auf dem Nachbargrundstück reiche Yuppies eine Party, junge Leute oder Geister? Nur das Dienstmädchen weiß, wer dort wirklich feiert, es sind die Bettler des Viertels.

Kann man tatsächlich in einem Formular „Mieter“ als Beruf ankreuzen? Hauptberuflich ist das Ehepaar ständig auf Wohnungssuche. Während andere an Wochenenden Yum-Cha essen, zu Pferderennen gehen oder zu den Outlying Ilands fahren, prüfen die beiden sämtliche Wohnungen, die in der Zeitung ausgeschrieben werden. Magisch-realistisch lässt Leung Ping-kwan die Suche nach dem Traumhaus an einem Meeresstrand enden – und ihm ist auch diese Anthologie mit diesen ungewöhnlichen, gegen den Strich gebürsteten Texten gewidmet.

In Search of a Flat: An Anthology of Hong Kong Urban Short Stories. Ed. Kit Kelen, Mary Wong Shuk-han, Chris Song Zijiang, Lingnan University, 2014