Du – von Zoran Drvenkar

Hörbuch: 6 CDs, Länge 473 Minuten

Stinke: „Du meinst, Parfum sei der beste Schutz gegen die Außenwelt.“

duDie Erzählperspektive dieses Thrillers ist so genial wie durchdringend – Du denkst, Du machst, Du tust: die Figuren erhalten dadurch eine ungeheuerliche Plastizität, weil sie direkt mit DU angesprochen werden, weil der Erzähler wie ein Operateur das Innenleben der Personen freilegt. Das beginnt gleich zu Beginn mit dem Reisenden, der dabei beobachtet wird, wie er im Stau die Autos nach hinten abschreitet und diejenigen erwürgt, die allein unterwegs sind in dieser Nacht, in der zum ersten Mal Schnee fällt. Manche wundern sich über den Mann, der über die Beifahrerseite einsteigt, nur wenige wehren sich. Und die knallharte Du-Perspektive suggeriert eine schier unerträgliche Nähe zu diesem Monster. Auf diese Weise porträtiert Drvenkar 16-jährige skrupellose Mädchen auf der Flucht vor einem abgebrühten Drogendealer, harmlose Söhne und tölpelhafte Kumpel. Klappe für Klappe entfaltet sich die Geschichte wie ein Leporello, auf jedem Streifen ein anderer Name, eine andere Perspektive, aus der die Handlung vorangetrieben wird.

Haben Leser und Rezensenten des Buches offenbar Schwierigkeiten beim Sich-Hineinfinden in die raschen Perspektivwechsel, gelingt es dem Sprecher Matthias Brandt nicht nur, diese Wechsel so anzukündigen, dass man der Geschichte gut folgen kann. Virtuos zieht er sämtliche Stimmregister, ohne diese überzustrapazieren, und hält so die atmosphärisch dichte Stimmung des Textes in einer gefährlichen Schwebe, die jeden Augenblick kippen kann.

Der Text ist nur scheinbar voller loser Fäden, die irgendwann irgendwo zusammengeknüpft werden, und zwar in Norwegen, wohin die Reise alle 15 Protagonisten über kurz oder lang führt. Und jedes Mal, wenn Zusammenhänge sich erschließen, knallt der Aha-Effekt im eigenen Hirn. Bis hin zum dicken Ende in einem baufälligen Hotel hoch oben über einem norwegischen Fjord. Da aber wollte Drvenkar zu viel, bürdet einer 16-jährigen Protagonistin in allerletzter Minute noch eine heftige Tochter-Vater-Geschichte auf und führt die brutalsten Figuren in diesem Thriller am Küchentisch zusammen. Der Showdown versinkt im norwegischen Meer wie ein Blindgänger.
Und trotzdem: eine furiose Geschichte mit wütenden Protagonisten, unvergessliche menschliche Abgründe und, wie Dobrila Kontić schreibt, „der Weg zum finalen Abschluss ist weit interessanter als dieser selbst“.