Die Angst der Chinesen vor Wölfen

Wölfe aller Herren Länder – vereinigt Euch! So schallt es hüben wie drüben, damals wie heute, nach dem Wolf richtet so manch einer sein Leben aus. Man denke nur an Jack London, der weniger mit dem Wolf tanzte als andere, oder an den sensationellen Erfolg des Ökoschmachtfetzens „Zorn der Wölfe“ aus der Feder des chinesischen Autors Jiang Rong. Penguin China blätterte für die Weltrechte einen Vorschuss von 100.000 US-Dollar hin, so viel hatte noch nie ein chinesischer Autor eingeheimst. Und Jean-Jacques Annaud wird, da können wir ganz sicher sind, auch die letzten sich verweigernden Drüsen zum Heulen bringen – geht dafür aber wenig wölfisch mit der chinesischen Regierung auf Schmusekurs. Einmal mehr wird das Vorbild vom starken, mutigen und furchtlosen Rudelanführer durchgehechelt, in der chinesisch-mongolischen Version wird der Wolf zum Symbol für die kriegerische Kühnheit ebenso wie für die Expansionsgelüste des Westens, wohingegen der chinesische Ackerbauer vor lauter konfuzianischer Indoktrinierung zum schwachsinnigen Schaf verblödete. Schlag auf Schlag folgten im Reich der Mitte Dutzende von Managementratgeber. „Zeigs Ihnen! Werde zum Wolf!“, „Ein Wolf unter Schafen“, „Wie man zum Wolf wird“: Mit ähnlich variantenreichen Titeln bleute man den chinesischen Managern ein, im Umgang mit ihren westlichen Partnern endlich ihre Zähne zu zeigen.
Der Westen aber besinnt sich derzeit wieder auf seine wölfischen Qualitäten. Der Wolf galt hierzulande schon immer als Vorbild für Kriegsherren, zierte Wappen, dem armen Tier wurde gar die Gründung Roms aufgehalst. Und da die Expansionsgelüste, die Jiang Rong ebenfalls im wölfischen Gebaren westlicher Kulturen begründet sah, jüngst deutliche Ermüdungserscheinungen zeigten, so vollgefressen waren sie von den Jahren zuvor, gilt nun auch hier wieder die Devise: Zurück zum Wolf! Und das krisengeschüttelte Brandenburg springt mit einem marketingstrategisch eleganten Wolfssprung auf den Zug der Zeit: „Wie sie vom Wissen der Wölfe profitieren können und wie sie ihr Team zu einem Hochleistungsteam machen, erfahren und trainieren sie in diesem Workshop.“ Womöglich doch besser das eigene Wolfsgeheul trainieren, als im nächsten interkulturellen Sino-Seminar den richtigen Austausch von Visitenkärtchen zu üben? Denn wer zuletzt heult, den fressen die Schafe.