Sri Lanka, 2013
„Put on some normal clothes!“, wenn der Manager zum Gespräch bittet, der einmal die Woche aus Colombo kommt und mit den neuen Gästen persönlich sprechen möchte. Danach würde man uns die Anlage zeigen, sagte die Empfangsdame im beigefarbenen Sari. Ihr Blick musterte mich von Kopf bis Fuß, glitt dann an mir ab, doch ich hatte ihn vor Augen, als ich in meinem staubigen Rucksack nach „normal clothes“ suchte. Muffig rochen sie. Wie sollte es auch anders sein, zweieinhalb Wochen waren wir vom Norden kommend im Zickzackkurs an der Küste entlang gereist, unterbrochen nur von Besichtigungen – auf sämtlichen Landeskarten gelb markierten Highlights – im Landesinnern: die Felsenfestung Sigiriya und die vernebelte Hochebene der Horton Plains.
Mit Bus und Tuktuk waren wir angereist, allerdings war das Ayurveda-Resort schwer zu finden, kein Schild, kein Wegweiser, zahlreiche Abzweigungen, von denen der Tuktuk-Fahrer jeweils die falsche wählte; auf hohe weiße Mauern zeigten die Menschen, die der Tuktuk-Fahrer befragte. Der fast schon ein wenig vorwurfsvolle Blick beim Empfang galt auch dieser Art des Reisens, kein Gast war bislang offenbar mit so einem motorisierten Dreirad gekommen und hatte staubige Rucksäcke in der marmorglänzenden Lobby abgestellt. Wie unliebsame Wesen behandelten die Boys die beiden Gepäckstücke, zierten sich gar, schien es, diese Ungetüme auch nur anzufassen.
Gleich nachher würden wir durchs Haus geführt, wiederholte die Empfangsdame abermals, nach dem Gespräch mit dem Manager. Was eine humorlose Managerin war, die über die Tuktuk-Anfahrt wohl informiert worden war und darüber nur den Kopf schüttelte, uns vor dem rauen Meer warnte und auf die rote Fahne hinwies, die wir bei unserem ersten Schwumm übersehen hatte, so eingezwängt hingt sie in einer Astgabel, erneut den Kopf über dieses Wagnis schüttelte und uns ein drittes Mal warnte, nun vor den Moskitos und Affen.
Wie überhaupt die 16-seitige Broschüre, die uns gleich zu Beginn ausgehändigt worden war, unzählige do’s und don‘ts auflistete, dass einem schwindlig wurde. Mir zumindest. Was tun, was lassen? Und ja, man solle nicht miteinander und schon gar nicht schlecht über die anderen reden, solle sich bitte auch nicht von den negativen Energien der Mitreisenden beeinflussen lassen, sich ganz auf das Positive konzentrieren. Entgiftung und Reinigung stünden im Vordergrund, die Besinnung auf sich selbst. Nachdem so viel Negatives erst mal vorgeschoben wurde, dachte ich mir, welch ein Sündenpfuhl, diese Welt da draußen! Und ebenso sollte man auch tunlichst jeglichen Kontakt mit den Dorfbewohnern vermeiden. Nur so sei der Erfolg der Behandlung garantiert. Alles sei nur zum eigenen Besten. Klösterliche Strenge. Hätte man nicht eine hübsche Stange Geld für diesen einwöchigen Ayurveda-Aufenthalt hingelegt, hätte man sich womöglich aufgelehnt. So aber: alles freiwilig.
Um 6 Uhr dann die erste Morgensession Yoga. Eine stattliche Zahl von sieben offenbar Schlafgestörten fand sich ein, ein dunkelhäutiger Yogalehrer zählte im Rhythmus mal deutsch, mal englisch die Atemzüge. Das Entspannendste war naturgemäß die Entspannungshaltung, ausgestreckt am Boden, mit dem Blick in das helle Morgenblau zwischen Palmen. Die Konzentration hatte es schwer, denn in den Wipfeln tobte eine Horde Affen, vor den Zehen transportierte eine Meute Ameisen ein totes Insekt, bis zur Unkenntlichkeit entstellt. Ein strahlend blauer Eisvogel flog über den ebenso strahlend blauen Swimmingpool, verfolgt von einem gelben Schmetterling. Im Meeresrauschen und Affentoben ging die Stimme des Yogalehrers unter. Die schamhaften Shanti-Gesänge ebenso.
Später dann sah man umherwandelnde Gestalten auf sandigen Pfaden, in blauen, schwarzen und roten Sarongs, je nach Behandlung mit oder ohne Handtuch zum Turban gewickelt. Und bald auch schritten wir zur ersten Konsultation, beantworteten brav die Fragen nach Vata, Pita und Kapha, wurden sogleich zur ersten Behandlung beordert mit sonderlichem Namen, der nicht zu merken war, jedenfalls nicht, wenn man sich keine Mühe gab. Und dann in Öl schwimmen, Öl glatt streichen auf dem Haar, den Schultern, im Nacken, ums Ohr herum, die Ohrläppchen, bis in den Gehörgang hinein streckte sich ein Finger, und nochmals, und hinunter am Rückgrat entlang, alles schwimmt in Öl, scheint sich aufzulösen, löst sich auf, meint man, als man wieder bei Sinnen ist, da gleitet ein heißer öliger Stoffballen über die Hüfte und den Oberschenkel.
Aufstehen könne ich jetzt, einen Sarong um mich wickeln und hinter den nächsten Vorhang treten. Dort lag ein Sarg. Ein großer brauner aus Holz. Der Sargdeckel wurde geöffnet, ich solle mich auf den Rost legen, der Deckel schloss sich, nur mein Kopf schaute aus einer runden Öffnung am Kopfende heraus. Freiwillig, dachte ich. Freiwillig garen lassen, über heißen Dämpfen, eine Guillotine könnte nun herabsausen und mit einem glatten Schnitt den Kopf vom Körper trennen, sobald der die richtige Temperatur hätte. Um verspeist zu werden. Kannibalen.
Eine Frau trat neben den Kopf und tupfte mir nicht-existenten Schweiß von der Stirn, jedenfalls spürte ich keinen. Spürte nur die Temperatur, die ich in der Sauna stets mied. Hätte am liebsten gesagt, es reiche jetzt. Dampfbad hin oder her, aber ich lasse mich nicht garen. Es reicht jetzt, meinte sie, lupfte den Deckel, ich kletterte vom Rost, erhaschte einen Blick auf einen Aluminiumtopf, der darunter vor sich hin dampfte.
Einmal wurde ich zu einem Holzkasten geführt und musste lachen. In den Deckel des Kastens war ein ovales Loch gefräst, und das Ganze sah aus wie ein erhöhter Abort. Geschätzte zehn Minuten steckte ich da hinein meinen Kopf. Um den heißen Dampf einzuatmen, der einem nur halb gedeckelten Topf entwich.
Bei der Synchronmassage ein paar Tage später bearbeiteten mich gleich vier Hände im Rhythmus, und obwohl mir der Druck der Finger genau gleich vorkam, schien der ganze rechte Arm im Gegensatz zum linken nur ein schwaches Rohr zu sein.
Solcherart Ungleichgewicht im ansonsten gleichgewichtigen Kneten und Streichen war verblüffend und kam ansonsten bei keinem anderen Gliedmaß vor. War womöglich der einige Monate zurückliegende Fahrradunfall der Grund dafür, bei dem ich den rechten Ellbogen brach, Schulter und Handgelenk prellte? Schmerzen hatte ich dort keine mehr, doch meine Aussage, der rechte Arm fühle sich einfach nicht mehr so an wie mein linker, wurde bislang von allen Ärzten nicht weiter beachtet, sodass ich es aufgegeben hatte, diesem leisen Ungleichgewicht weiter Aufmerksamkeit zu schenken.
Weniger angenehm war das Rotzen und Schleimlassen nach einem Naseneinlauf, es brennt, es würgt, und immer hinein damit in eine grüne Plastikschüssel, dessen Inhalt allein schon bald gereicht hätte, sich zu übergeben. Sinnigerweise musste an diesem Tag auf das Frühstück verzichtet werden, wie überhaupt Nahrung und Behandlung einhergingen. Man durfte ohnehin nicht immer am Buffet zu den Speisen greifen, die am verlockendsten rochen, sondern konnte schon mal vom Koch nach der Zimmernummer gefragt werden, um mit einem Kopfschütteln die Genehmigung für eben dieses Gericht verweigert zu bekommen. Nach der Nasenreinigung durfte man jedenfalls einen Tag lang nicht an die Sonne: kein leises Streichen des Windes über die ölige Haut, wo doch die Meeresbrandung gerade heute so verführerisch rauschte.
Eine „angenehme Erfahrung“ sei das Augenbad, verspricht der Leitfaden zur Panchakarma-Kur, dieses nahm ich beziehungsweise meine beiden Augen wenige Stunden nach dem Nasenbad ein. Ein Teigrand wird dabei direkt um die Augen gelegt, darin sammelt sich die geschmolzene Butter, in ihr muss man die Augen öffnen, mal nach rechts, mal nach links rollen, schließen, öffnen, grelles Sonnenlicht sei für heute zu vermeiden. Mein Blick auf die Weisheit vom langen und gesunden Leben trübt ein, meine „body energy“, nach der ich jeden Tag mehrere Mal gefragt werde, sackt in den Keller, bis kein tieferer Punkt mehr erreicht werden kann. Noch am Tag danach war mir, als hingen fette Buttertropfen an den Lidern meines linken Auges, als würde sie aus den Augenwinkeln herauslaufen. Das Feuer trete aus den Augen, meinte die befragte Ärztin zu diesem Symptom.
Empfohlen wird eine vierzehntägige Panchakarma-Kur, doch einen Durchhänger hätte ich spätestens nach diesen beiden Behandlungen gehabt. Dennoch: Sechs Tage lang unangestrengt nichts tun, sich entgiften, abgelagerte Schlacke von Jahrzehnten ausstoßen, ölselig sich den Massagen hingeben, nichts tun, nichts tun dürfen, im Palmenschatten den Wind über die Haut streichen lassen, ausspannen, entschleunigen, ermattet tagträumen. Erinnerungen brechen senkrecht durch Gedanken und falten sich wieder zusammen. Einfach nur daliegen und alles sein lassen. Ayurveda eben, ums Leben wissen.
Nachtrag:
Elf Jahre später fuhren wir wieder hin, wegen eines Bandscheibenvorfalls, steifen Gelenken, just name it. Die strengen Konversationsregeln waren von den Gästern aufgelockert wurden, nun wurde morgens und abends Yoga unterrichtet, auch wurde auf manche exotische Behandlung während der Panchakarma-Kur verzichtet (z.B. das herbeigeführte Erbrechen, der Schwenkeinlauf) – vieles aber war so, wie wir es in positiver Erinnerung behalten hatten.
Weiterer Beitrag zu Sri Lanka:
Sri Lanka fürs Handgepäck. Herausgegeben von Alice Grünfelder, erschienen im Unionsverlag, 2014