Skype bitte, Mama, skype!

Zerkratzte Geschichten aus der Ukraine

Die neue Nabelschnur ist das Internet samt Webcam, damit wird per Skype die Mutter auf den Bildschirm geholt, weil sie als Gastarbeiterin anderswo arbeitet. Und so verlassen denn in den vorliegenden Erzählungen Mütter ihre Familien, weil sie in der Ukraine keine Arbeit finden oder zumindest keine, die genug Geld einbringt, um sich und die Kinder über Wasser zu halten oder ihnen einen höheren Lebensstandard zu ermöglichen. Doch die Abhängigkeiten, die durch dieses Wirtschaftsexil entstehen, können fatal sein.
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Wie im Fall „Slawka“, einem Mädchen, das sich nichts mehr herbeisehnt als ihre Mutter. Doch als die endlich wieder zurück im Dorf ist, erhängt sie sich im Wald, weil der bigotte Pfarrer ihr Geheimnis überall herumerzählt, woraufhin der Vater sich im Haus verbarrikadiert und anzündet. Zurück bleibt Slwaka, und nichts wird gut, wie die Kinder in diesem Erzählband immer wieder getröstet werden – zerkratzte Kinderseelen, die sich mit Marken-T-Shirts und neuesten Handys, mit Aussichten auf ein besseres Leben nicht trösten lassen wollen, sondern zornig versuchen, sich abseits der verlogenen Erwachsenenwelt eine eigene Welt zurechtzuzimmern, so wie in „Das Familien-Finde-Spiel“. Erschütternd, dass solche Sehnsüchte irgendwann selbstzerstörend werden. „Das Arbeitsmigrantenleben der Eltern programmiert in den Kindern von klein auf denselben Sehnsuchtsmechanismus: nach einem besseren Leben nicht in der Heimat, sondern in der Ferne, dort, wohin der Gastarbeiterweg führt“, schreibt die Herausgeberin Marjana Sawka im Nachwort. Nur wenige, scheint es, finden auf diesem Gastarbeiterweg wieder zurück, zumindest in den Erzählungen. Und nie geht es gut aus. Aus einem Jahr werden mehrere, aus kleinen Kindern, die bei ratlosen Verwandten aufwachsen, werden Jugendliche, die an ihre Eltern immer höhere und absurdere Forderungen stellen, die das Loch im Herzen allerdings auch nicht mehr zu stopfen können. Und bei jeder Zeile fragt man sich: Wie halten die Kinder das nur aus?
Von zerrissenen Seelen handeln diese Geschichten, von alltäglichen Entmutigungen, doch über diese sozialen Waisen zu schreiben, so die Herausgeberin, sei schon mal ein erster Schritt zur Lösung des Problems. Und geschrieben wird ganz ohne Anklage, ohne Pathos, einfach nur aus Kinderperspektive. Die Zeit läuft, und Skype hält die Uhr nicht an.

Kati Brunner, Marjana Sawka, Sofia Onufriv (Hg.): Skype Mama. Edition.fotoTAPETA, 2013, 150 Seiten, ca. 18.90 sFr