Nicht mehr länger stumm

Frauen aus Nepal erzählen – und sie erzählen in einer Weise von alltäglichen Kränkungen und Diskriminierungen, die rühren und erschrecken.

Peinlich ist es, auf einer Schulbank zu sitzen und nicht zu wissen, was da aus einem herausrinnt; das Mädchen weiß es nicht, weil niemand es über die Menstruation aufgeklärt hat, nicht einmal die eigene Mutter. Noch schmerzlicher wird dann die Erfahrung, als Blutende temporär ausgestoßen zu sein, nicht an Festen teilnehmen zu können, dieses und jenes der vermeintlichen Unreinheit wegen nicht in die Hand nehmen zu dürfen, die blutigen Binden nachts im Hof waschen zu müssen, damit frau nicht gesehen wird.

Auch das Problem, nur Frau, nur Tochter zu sein, nur Töchter geboren zu haben, lastet auf Generationen von Frauen – und führt zur harschen Zurückweisung selbst innerhalb der eigenen Familie. Schließlich können die Ahnenrituale nur von Söhnen richtig ausgeführt werden, und die Tochter geht nach der Heirat ohnehin aus dem Haus, warum sich also Mühe geben mit der Erziehung? Unverständlich nur, dass Frauen, die selbst unter diesem Schicksal litten, kaum weniger nachsichtig sind. Die Autorin Sharmila Khadka erklärt: „Sie behandelten ihre Töchter genauso, wie sie von ihren Müttern behandelt worden waren. Weil sie wenig Selbstvertrauen hatten und unfähig waren, Entscheidungen zu treffen, blieben sie von anderen abhängig.“

Vom sexuellen Missbrauch durch nächste Verwandte wird erzählt, von grundlegenden Benachteiligungen selbst in kleinsten Dingen, und von einer Scheidung, denn wohin soll eine Frau, wenn der Mann sich scheiden lassen will? Die Frau ist lediglich eine Marionette, schreibt Usha Sherchan: „Diese unsichtbaren Haken / Obwohl ich sie abreißen möchte / Kann ich sie aber nicht abreißen / Obwohl so sehr vom Tanz ermüdet / Bin ich gezwungen, weiter zu tanzen / Obwohl ich so sehr vom Leben ermattet bin / Bin ich zum Weiterleben verdammt.“

Auch wenn der Klappentext es anders verspricht, so ist nur wenig von Selbstbestimmung und Hoffnung die Rede, wenngleich so manche der Autorinnen sich all ihren Mut kraftvoll zusammenschreibt. Auf diese Weise enstand eine bildreiche Lebenscollage, an der 12 nepalesische Frauen mitgewirkt haben.

Benachteiligungen von Frauen in solcherart patriarchalischen Gesellschaften wurden in Reportagen, Romanen und Kurzgeschichten bereits variantenreich aufgearbeitet. Was bei diesen Lebensgeschichten allerdings überrascht und auch beabsichtig ist, so die Herausgeberinnen und Übersetzerinnen Johanna Buß und Alaka Atreya Chudral, ist die Rohheit. Hier wurde nichts für eine westliche Leserschaft aufpoliert, daran kann man sich stören wie an so manch ungelenker Formulierung, doch es sind letztlich Unmittelbarkeit und Offenheit der Texte, die bestechen und gänzlich unvermutet treffen.

Johanna Buß und Alaka Atreya Chudral: Auf der Suche nach dem eigenen Sein. Frauen aus Nepal erzählen. Draupadi-Verlag, 2018, S.118