Birma – Vignetten

Flug nach Mandalay.

Zwei Mönche mir gegenüber, im 4er-Sitz, praktisch. So könnte man ins Gespräch kommen, wären die Propeller nicht so laut und schickten einen vibrierenden Stoß nach dem anderen durch das Trommelfell, den Rücken hinab bis hinunter in die Zehen.
Zwei Tage Yangoon liegen hinter uns. Der Schimmel an den Häuserwänden ist in den vergangenen Jahren noch dunkler geworden, der Reiz des Verkommenen architektonischer Hoffnungslosigkeit gewichen.

Blühender Zerfall

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Wo einst das Büro des Verantwortlichen für das Verlagswesen Birmas untergebracht war, ist alles versperrt und verriegelt. Die Bierkneipe, in der wir immer so gern gegessen hatten, mit Brettern zugenagelt. In einem Gebäude, dessen rötlicher Putz hier und da noch zu erahnen ist, sprießen aus dem 3. und 4. Stock Bäume, derweil im Erdgeschoss offenbar noch Veranstaltungen abgehalten werden, jedenfalls lassen die Stuhlreihen dies vermuten. Wo früher ein Markt war, hat man riesige Häuserblocks errichtet. In den unteren Geschossen dunkle Münder, die Waren verschlucken und ausspucken. Nachts aber dröhnen die Blocks, aus jedem ein anderer Hit, die Fenster blinken in allen Farben.

Still und gedämpft

Laut sind hier in den Straßen nur die Jungs, die an den offenen Bustüren hängen und ihre Routen ausrufen. Ansonsten funktioniert hier scheinbar alles reibungslos und still. Keine freundlichen Gesichter, aber auch keine unfreundlichen. Um nichts wird viel Aufhebens gemacht. Auch nicht, als vor dem Bankschalter ein junger Burmese Dutzende von gebündelten Banknoten abholt. Von irgendwoher bringt ihm jemand zwei große Plastiktüten. Einer hilft ihm, die Geldscheine hineinzupacken, eine Tüte ist fast zu schwer, der Griff zum Reißen gespannt, deshalb wird sie oben noch einmal zugeknotet, mit zwei Tüten macht er sich auf Richtung Ausgang, fast rutscht ihm die untere aus den Händen, er sucht seinen Schirm, den jemand an die Tür gehängt hat, ein anderer spannt ihn auf für diesen jungen Mann, der in der Menge verschwindet.

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Shwedagon im Monsun, ruhig oder gedämpft? Rituale wie das beständige Waschen und Putzen der kleinen Buddhastatuen rund um die Pagode bleiben rätselhaft. Das Schauen muss genügen für den Moment. Innere Ruhe will nicht einkehren beim Anblick der zahllosen kleinen Stupas, Buddhas, Mönchen und Nonnen. Dazwischen immer wieder Männer mit Abzeichen an der Hemdbrust: Passen sie auf den Tempel auf, achten sie auf gebührliches Verhalten oder seltsame Bewegungen unter den Besuchern? Für Außenstehende nicht auszumachen. Außen. Innen. Warum bin ich hier?

Regenzeit in Kalaw.

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Wie Winter. Das feuchte Leben spielt sich in den eigenen vier Bretterwänden ab. Draußen duckt man sich unter vielfarbigen Regenschirmen mit Blumen, Mickey Mouse, Logos internationaler Designmarken, schiebt sich samt der Schirme unter Plastikplanen über den Markt, ab und an stürzen Wassermassen in die Gassen, nicht selten erklingt ein unterdrückter Aufschrei und ein leises Lachen der Marktfrauen über den Unglücklichen, den es erwischt hat. Kaum ein Augenpaar, das unter dem Schirmrand hervorlugt, denn das frische Gemüse, das Obst, die zahlreichen Schnittblumen, die später vor die Buddhastatuen gestellt werden in den unzähligen Tempeln im Ort und der Umgebung, sind wichtiger als der fremde Besucher.
Nirgends fand sich ein Hinweis, dass Kalaw eine Militärstadt ist. Die Straßen sind voll mit „Grand Tigers“, brandneuen Automobilen, sie stehen in Reih und Glied vor dem Markt. Kaufen Soldaten mit wächsernem Gesicht für ihre Frauen ein, die in den Autos warten? Niemandes Englisch reicht für ein Gespräch, Gesten müssen genügen, um sich nicht zu verirren auf dem Bazar, um nach dem Preis zu fragen, nach den Spezialitäten aus Teig, die ein indisch aussehendes Paar auf Bastmatten anbietet.

Birma – ein Vielvölkerstaat und mehr

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Auf dem Markt Chinesen, Inder, Nepali, Burmesen, auch Bangladeshi? Groß gewachsene Männer mit europäischen Gesichtszügen und dunkler Haut, einer schlurft daher wie ein Japaner, wieder ein anderer könnte die Hauptrolle in einem Bollywood spielen; Frauen mit Thanaka auf den Wangen sind dennoch in der Mehrheit, auch deren Gesichter könnten unterschiedlicher nicht sein. Wie lange ist es her, dass Japaner, Briten diesen Ort verlassen haben? Selbst die über Siebzigjährigen waren damals noch Kinder, die Völker haben sich anscheinend schon früher und über Generationen hinweg vermischt.
Nachfahren nepalesischer Gurkhas bieten in einem Restaurant nepalesische Gerichte an. Die Frau des Hauses reichte einem Mann mit chinesischen Gesichtszügen drei dicke Bündel mit Geldscheinen. Der zählt und zählt. Wer ist dieser Mann, denn die Summe, rasch überschlagen, beträgt 300 bis 500 Dollar, schon im Voraus abgezählt und vorbereitet, mit seinem Besuch wurde gerechnet, sie erhält eine Quittung dafür. Der Vermieter? Einer dieser reichen Chinesen, über die sich das Volk so sehr ärgert, dem hier in Kalaw eine dieser Villen im Cottage-Stil gehört?

Westliche Vorstellungen vom Golden Triangle

Das zweistöckige, gelb gestrichene Wohnhaus gegenüber von unserem Hotel gibt Rätsel auf. Warum zum Beispiel tritt die ältere Matrone alle paar Stunden vors Haus und wirft Hände voll Reiskörner auf die Straße, um zahllose Tauben anzulocken? Zwei Männer auf einem Moped fahren in den Hof, der Beifahrer hat einen Strauß Blumen im Schoß. Sie holen einen fettbauchigen Sack Reis und packen ihn vor den Fahrer unters Lenkrad. Eine alte Frau, das weiße Haar zu einem Dutt am Hinterkopf geknotet, schöpft oben auf dem Balkon Wasser von einem Behälter in den anderen. Dann schüttet sie einen Becher voll in den Hof hinunter, wäscht sie Gläser aus? Herauszufinden wäre dies nur mit einem Fernglas. Sie zupft immer am selben Blumenstrauß mit den weißen und gelben Blüten herum. Als die Frau mich entdeckt, knotet sie hastig ihren Longy neu, dreht mir auf dem schmalen Balkon den Rücken zu. Im Seitenflügel stehen Tür- und Fensterflügel weit auf, undeutlich sind Billardkugeln im Dunkeln zu erkennen, Männer lehnen an der Fensteröffnung, schauen mal dem Spiel zu, manchmal hinaus in den nicht nachlassenden Regen.

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Ein Mönch schüttelt kurz seinen Regenschirm aus, bevor er den Billard-Salon betritt: braun der Schirm, braun sein Gewand und auch die samtenen Sandalen. Mit einem Föhn müsse man diese trocknen, würden sie nass, erklärte die Schuhverkäuferin mir in Yangoon. Ein Mönch mit Föhn? Ein junger Mann geht vor dem Eingang kurz in die Hocke, schiebt den Longy wieder hoch und kehrt zurück zum Spiel. Noch immer lehnen dieselben Männer am Fensterrahmen, noch immer regnet es, seit heute Früh schon. Drei Mopeds stehen mittlerweile vor dem Billard-Salon, ein weiteres fährt vor, der Beifahrer mit Spitzhut aus Palmblatt. Ob wohl auch Alkohol ausgeschenkt wird? Ein Mann hängt seinen rosafarbenen Regenmantel an den rostbraunen Fensterflügel, schaut kurz hinaus auf die Wolken, die immer tiefer ins Tal drücken. Bald wird darin auch die Spitze der weißen Pagode verschwinden. Es regnet wieder stärker. Die Tropfen prasseln lauter und schneller auf das Pflaster. Darunter mischen sich Gitarrenklänge von irgendwoher.

Vor dem Haus steht ein Schild, in birmesischen Schriftzügen steht wohl drauf, was hier gehandelt wird, Reis? Bilder von Kinofilmen aus der benachbarten chinesischen Provinz Yunnan ziehen durch den Kopf, wo in solchen Häusern ungeheure Mengen von Rohopium in geheimen Verstecken gelagert und verkauft werden, und von wilden Schießereien. Golden-Triangle-Fantasien eines westlichen Hirns.
Im Billardraum brennt nun Licht, grün scheint der Billardtisch auf, sieben Mopeds stehen nun davor, eines ist rot. Es regnet noch immer, wird endgültig dunkel.
Ausschnitte, Oberflächen, die Fragen aufwerfen und vermeintlich Geschichten erzählen, die in die Irre führen, weil man eben nur einen Bruchteil sieht; keine Möglichkeit, tiefer zu dringen. Das bloße Schauen führt irgendwann ins Nichts, kreist um sich selbst.

Morgengymnastik in Pyay.

Während die Inder über Jahrhunderte das Yoga verfeinerten, Chinesen Tai Chi und Kungfu, selbst Vietnam einen eigenen Kampfstil entwickelte und in Thailand das Thai-Boxing mit Schlägen und Kicken Menschenmassen in Stadien treibt, ist aus Burma nichts dergleichen bekannt. Eine besondere Form des burmesischen Yoga soll es geben, doch selbst Weitgereiste, Intellektuelle und besser gestellteBirmesen haben davon noch nie etwas gehört.

Lauftrainer und Hüftschwinger

In Pyay aber gibt es an der Strand-Promenade, die nur ein fader Abglanz des gleichnamigen Boulevards in Yangoon ist, einen kleinen Park, der etwa 250 Meter Länge und 50 Meter Breite misst: mit Schaukeln, Bänken und kuriosen Geräten. Gut, den Lauftrainer mag man noch erkennen, dass man aber auf den kreisenden Scheiben lediglich seine Hüften ein wenig hin und her schwingt, wird mir erst beim heimlichen Beobachten einiger Kinder klar. Was aber sollen die schwarzen Rollen auf Knie- und Schulterhöhe? Damit massiert man die Waden, indem man die Beine darüber legt und hin und her zieht, sehe ich am anderen Morgen bei einem Mann.

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Die Frauen in ihren Longyis schlendern nicht einfach durch den Park, was mir erst dann auffällt, als sie schon zum vierten Mal an mir vorüberkommen. Sie gehen tatsächlich ein wenig schneller als auf der Straße, kehren am Ende des asphaltierten Weges schwungvoll um und schreiten den Weg erneut ab. Eine schließt und öffnet dabei ihre Fäuste. Nordic Walking, aus Ermangelung der Stöcke eben nicht auf den ersten Blick zu erkennen. Ein älterer Herr in grauen, knielangen Hosen und einer dazu passenden Jacke biegt unvermittelt ab und stampft mit seinen klobigen Turnschuhen zur vierten Schaukel, reckt sich in die Höhe und holt seinen Schirm herunter, an dem er seinen dreistöckigen Henkelmann befestigt hat. Stapft dann davon und würdigt mich keines Blickes.

Liebesblick

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Ein Neuankömmling mit Schirmmütze zieht sein rechtes Bein ein wenig nach, vermutlich ein Schlaganfall vor ein paar Wochen, Monaten? Ein anderer stellt sich kurz auf den Lauftrainer in seinem Longyi, danach geht er zur Drehscheibe und schwingt seine Hüfte ein wenig hin und her, allerdings sehr viel weniger dynamisch als die Walking-Frauen zuvor, die noch eine Dehnübung anschlossen auf der kleinen Plattform, die direkt auf den Irrawaddy hinausgeht. Durchaus reizvoll dieser Blick über den Stacheldraht – der den Park vor wem oder was schützen soll? – auf den braunen, rasch dahinfliessenden Irrawaddy, auf die große Brücke, dahinter die geduckten Hügel. Das langsame Hin- und Her auf dem Lauftrainer versetzt einen in eine leichte Trance, während die Mosquitos um die Knöchel schwirren.

Zwischen Park und Fluss sind auf einem schmalen Uferstreifen kleine Zeltbuden aufgestellt. Verlassen am Morgen, bevölkert am Abend von Liebespärchen, die mit Blick auf das kreiselnde Wasser an Limonade nippen und die Arme umeinanderlegen. Liebesbuden am Ufer des Irrawaddy, unter blau-rot-weiß gestreiften Zeltplanen, neben Laufbändern und Hüftschwinger. Für Leib und Seel ist offenbar ausreichend gesorgt.

Aufgezeichnet am 31.7.2012 / 1.8.2012