Wege durch finstere Zeiten

Finster sind die Zeiten

Afghanische und Schweizer Texte über Flucht und Asyl.

Da will eine nicht mehr länger zusehen, da schreckt eine weder bürokratische Hürden noch die Not der Afghaninnen und Afghanen, aus der kein Entkommen scheint. Die Rede ist von Sabine Haupt, die hochgefährdeten afghanischen Intellektuellen (Schriftstellerinnen, Journalisten, Universitätsdozentinnen, Menschen- und Frauenrechtsaktivisten, Juristinnen) mit ihrem beherzten Engagement ermöglicht hat, nach Europa zu gelangen. Um diese Aktion zu dokumentieren, an der ein ganzes Netzwerk von ehrenamtlichen Helfer:innen beteiligt ist und das von PEN Schweiz unterstützt wurde, entstand diese Anthologie mit Beiträgen afghanischer und Schweizer Autorinnen und Autoren.

Der Publizist Roger de Weck schreibt im Vorwort: «Der Schritt vom Entsetzen, vom Zorn oder Mitgefühl zu einer beherzten Tat ist nicht selbstverständlich», stellt er fest. «Oft fehlt es an Tatkraft, und bloße Empörung ist Passivität. Die afghanischen Autorinnen und Autoren dieses Buches aber sind heute in der Schweiz oder sonst wo in Europa, weil ein Individuum die Initiative ergriff und gegen die Gleichgültigkeit, die Bürokratie, die kühl organisierte Abwehr von Geflüchteten kämpfte. Dieser Mensch ist Sabine Haupt, Herausgeberin des vorliegenden Bands. (…) Zur Tat schritten ihrerseits die Afghaninnen und Afghanen, die ein Albtraum ins Exil schlug. Sie taten jenen Schritt, der das Herz zerreißt und oft das Leben aus seiner Bahn wirft, um überhaupt das Leben und das der Nächsten zu bewahren. Sie verließen eine Heimat, in der Gewalt, Willkür und Menschenverachtung zum Gesetz erhoben wurden.»

Die Texte der afghanischen Autorinnen, Anwälte, Dozentinnen, Aktivisten sind so unterschiedlich wie Menschen es sind, doch zwei Triebkräfte – so kommt es mir vor, da ist eine unglaubliche Kraft, die die Menschen, die Texte vorantreibt – sind in allen zu spüren. Neben der Tragödie, das Land, die Familie verlassen zu müssen, oft gar nicht verlassen zu wollen, ist es die Kraft, den Neuanfang, die Chance zu schätzen und sich von den Umständen nicht unterkriegen zu lassen. Der Schmerz in den Gedichten von Jahan A. Afroz wird zunächst zerschnitten von senkrechten Strichen, „um jede Zunge hängt ein Schloss / Klage klemmen in der Kehle“, eine Rhapsodie zwar auf das Schicksal, aber auch ein Aufruf: „Gegen das Joch und die Gewalt / Werd ich mich stets erheben … Schreite fort voller Elan / Brich Tabus, sei mutig / Zündel nicht an deinem Leben …“. Andere schreiben nüchtern von Abschied und Ankunft, wieder andere sind ganz in sich gekehrt und holen Worte aus einer dunklen Tiefe (Nilofar Niksear in „Deine Albträume“). Der ehemalige leitende Staatsanwalt Ekramuddin Barez („Von Kabul in die Schweiz“) erhebt in seinem Text Vorwürfe, denn die SEM (Schweizer Staatssekretariat für Migration) habe ihm in seinem Asylantrag unterstellt, die Haftbefehle der Taliban gefälscht zu haben, um eine Einreise zu erwirken.

Daniel Rothenbühler, ehemaliger Präsident von PEN Schweiz, zitiert mit A. Gramsci das Engagement von Sabine Haupt: „Pessimismus des Verstandes, Optimismus des Willens.“ Dieses Zitat stimmt indes auch für all die Geflüchteten, die in diesem Textband zu Wort kommen, sicherlich auch für die Künstlerinnen und Künstler, deren Illustrationen die Schatten der Vergangenheit einfangen.

Es ist ein Buch der Vielfalt, der Vielstimmigkeit, lässt sich aufgrund der Wuchtigkeit der Themen nicht in einem Fluss durchlesen, könnte vielmehr immer wieder dann zur Hand genommen werden, wenn der eigene Tunnelblick zu düster gerät.

In der Leseprobe ist nachzusehen, wer worüber schreibt, der Band selbst ist gegliedert in vier Kapitel: „Wie alles begann“, „Was früher war“, „Wie es weiterging“, „Der Blick von außen“. Mein Text „Eindringlinge“ über Neophyten zeigt lediglich, wie fremd und feindlich der eigene Garten werden kann, wenn Fremdes sich einnisten will.

Sabine Haupt: Wege durch finstere Zeiten. Afghanische und Schweizer Texte über Flucht und Asyl. Verlag die Brotsuppe, 360 Seiten.