Absurd = Alltag in Birma

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Mit dem Namen fängt es schon an: Myanmar, Burma oder Birma? Und mit dieser in wenigen Zeilen und Bildern nur schwer zu erklärenden Konfusion beginnt Guy Delisle auch gleich sein Comic-Reisetagebuch. Als Begleiter seiner Frau, die für die Organisation „Medècins Sans Frontières“ Krankenhäuser im Nordens Birmas betreut, verbringt der franko-kanadische Comic-Zeichner im Jahr 2005 elf Monate in diesem Land, das damals noch vor allem durch Negativschlagzeilen Furore machte.

Die Tage und Wochen vergehen für einen Vater im Erziehungsurlaub in Birma auch nicht schneller als anderswo: Allein in isolierter Umgebung fällt ihm die Decke recht bald auf den Kopf. Obwohl das ausländische Baby der Stolz des Viertels ist, will man nicht einmal einen Vater mit Kinderwagen zur damals berühmtesten Gefangenen der Welt – Aung San Suu Kyi – vorlassen, die gleich um die Ecke wohnt. Im Supermarkt beträllert wie andernorts Karen Carpenter mit „Every shalala …“ die Angestellten und Produkte wie La Vache qui rit und Nescafé, denn Kunden gibt es kaum. Und wie soll man überhaupt mit diesen Geldscheinen bezahlen, die für Beträge wie 45, 90 usw. stehen? Dieses Volk muss verrückt werden oder Weltmeister im Kopfrechnen, überlegt der Comic-Artist und versucht sich daran, einen wie auch immer gearteten Alltag in diesem Polizeistaat zu zeichnen.

Blieb einem bei Delisles vorangegangenen Comics Shenzhen und Pjöngjang das Lachen im Halse stecken, da der Autor sich oftmals vergeblich bemühte, einheimischen Animationszeichnern die Kunst des Trickfilms nahezubringen, so ist dieses Mal das ganze Umfeld so unglaublich absurd, dass dem geforderten Leser nichts anderes übrigbleibt, als „die Absurdität wegzulachen“. Das bekommt der Geschichte erstaunlicherweise ganz gut, denn hatten die Plots von Delisle bislang nur wenige Höhe- und Wendpunkte – von einer tieferen Einsicht der Hauptfigur in die jeweilige durchaus komplexe Gesellschaft ganz zu schweigen –, so packt er dieses Mal seine Erlebnisse in kürzere Kapitel und weiß sie dramaturgisch geschickt zu inszenieren. In kleinen, scharf gezeichneten Bildern von der Willkür und Lächerlichkeit sämtlicher Repressalien mischen sich mitunter fast schon lyrische Momentsaufnahmen von Ausflügen zum Inle-See und in ländliche Regionen, die von den aufmüpfigen Karen bewohnt werden.

Auch politische Fragen spart Guy Delisle nicht aus. Als sämtliche NGOs abreisen, nachdem die Regierung quasi über Nacht die Hauptstadt ins Landesinnere verlegt hatte – „das surrealste aller Gerüchte stellt sich als wahr heraus“ –, bleibt „Medècins Sans Frontières“. Doch unter welchen Bedingungen ist humanitäre Hilfe noch sinnvoll? So meint denn Delisle auch ganz selbstkritisch, das einzig Sinnvolle, das er in Birma geschaffen habe, sei ein Comic für HIV-infizierte Kinder gewesen, damit sie ihre Medikamente nur ja regelmäßig einnehmen.

Was aber bleibt dem Volk? Der Wille der Menschen sei gelähmt, so Delisle, da der Alltag mit Angst infiltriert sei. Wird Birma auch deshalb das Land der Pagoden genannt, weil Religion die letzte Zuflucht bietet? Am Anfang versucht der Autor noch, den Theravada-Buddhismus mit ein paar Bildern zu erklären, was allerdings misslingt. Sehr weit geht sein Interesse am Nirwana auch gar nicht, denn als er einen 10-tägigen Meditationskurs besuchen soll, stellt er lakonisch fest, dass seine Neugier doch nicht so groß sei. Am Ende seines Aufenthalts ändert er seine Meinung, besucht drei Tage lang ein Kloster und hält seine Konzentrationsschwächen auf höchst amüsante und selbstironische Weise fest. Denn ist die wahre Erkenntnis nicht jene, nichts zu wissen? Und je länger man in einem Land lebt, immer weniger zu begreifen? „Ich haben den seltsamen Eindruck, auf die andere Seite des Spiegels gelangt zu sein“, resümiert Delisle weise.

Guy Delisle: Aufzeichnungen aus Birma. Aus dem Französischen von Kai Wilksen. Reprodukt, 2009, 263 Seiten, sFr  34,50

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