Verbotenes Schreiben

… und was Autoren dafür aufs Spiel setzen.

verbotenes schreiben-1Wie existenziell Schreiben sein kann, wie es ist, nicht mehr schreiben zu dürfen, eingesperrt zu sein bei Wasser und Brot, das ist erschütternd nachzulesen in Kassiber. Verbotenes Schreiben. Die Herausgeber des Katalogs unterscheiden dabei nicht zwischen verschiedenen totalitären Systemen oder politischen Haltungen der Autoren. Und es wird nicht nur in die Lager und Zuchthäuser des 20. Jahrhunderts geblickt, sondern es geht tief zurück in die eigene Vergangenheit. Da besucht zum Beispiel Schiller auf dem Hohenasperg Christian Friedrich Daniel Schubart, dem man das Schreiben verboten hat. Schubart beschreibt Fetzelchen mit dem Dorn einer Kleiderschnalle, einer Gabel, doch alles wird immer wieder gefunden und vernichtet.

Schubart: „All meine Gedanken, all mein Wissen.“

Kassiber heißt der Katalog nach der gleichnamigen Ausstellung vor ein paar Jahren im Literaturmuseum der Moderne in Marbach. Man wünschte sich, die Ausstellung wandere weiter in Zeiten eines beständigen Twitter-Rauschens, so eindrücklich erscheinen die Notizen von Autoren, deren Leben nichts wert zu sein scheint, wenn man es nicht mehr mitteilen kann. Erfinderisch waren die Autoren in ihrer Schreibnot: Botschaften wurden durch Blasrohre nach außen befördert, in Hohenasperg gar ein Besenstiel ausgehöhlt, um Nachrichten wie durch ein Blasrohr von Zelle zu Zelle zu schießen.
Und es zeigt sich auch, dass die Macht der Autoritäten nicht grenzenlos war: Textfetzen wurden in Büchern versteckt (z.B. wurden von der Stasi „winzige Schriftzüge, mit blutigem Streichholz auf Toilettenpapier geschrieben“, gesammelt und für die Nachwelt in einer internen Jubiläumsschrift abgedruckt.), vergraben, verschlüsselt.
Erschütternd sind diese Berichte auch deshalb zu lesen, wenn man weiß, dass diese Botschaften oftmals die letzten Lebenszeichen der Autoren waren, oft genug aber nie angekommen sind – weil z.B. die versteckten Schriftstücke erst Jahrzehnte später entdeckt wurden, wie der Text „Käse“ von Wolfgang Borchardt. Diese Erzählung hat ein Freund bei dessen erster Verhaftung unter Schuhen in einem Karton versteckt, der wiederum 1985 in einem Lagerhallenschrank gefunden wurde, weil er versteigert werden sollte. Wieder andere vergruben Schriftstücke in der Hoffnung, die Nachwelt werde sie finden, so wie z.B. nach der Befreiung unter Fußbodendielen in einem KZ. Auch Mandela vergrub seine Notizen im Gefängnisgarten, selbst wenn sich alles dagegen sträubte, selbst wenn es viel zu gefährlich war. „Das innere Muss war stärker als alles. – Ich schrieb.“

Ernst Toller: „Gefangene wurden zum Seiltänzer der Worte.“

Wieder andere Autoren wurden in einem Käfig ausgestellt, ins Lager gesteckt oder in die Verbannung geschickt. Und danach waren sie, so Ovid, nicht mehr der, der sie davor waren. Denn Haftzeit = Vernichtung von Lebenszeit
Warum aber schmuggelten Autoren Texte trotz Strafandrohung? Weil das Schreiben ein überlebensnotwendiger Akt geworden war, weil man dank der Notizen hoffte, seine Worte auch außerhalb der Gefängnismauern machtvoll wirken zu lassen. Und weil, so Konrad Merz, das Schreiben am Nullpunkt, im jahrelangen Untergrund sein muss, um sich im Schreiben wenigstens vergewissern zu können, um gegen die Ohnmacht anzuschreiben, im besten Fall sogar Hoffnung zu schöpfen. Und sich zu sagen: „Es ist vielleicht doch nicht alles umsonst gewesen.“

Das Schreiben wird zum Kamikaze-Akt, die Entdeckung kann tödliche Folgen haben.

Auf die Tarnung kam es also an, sie war auch überlebensnotwendig für all jene Autoren, denen das Schreiben Existenz bedeutete – erfinderisch waren sie in ihrer Not. Brechts „Legende vom toten Soldat“ wurde z.B. eingepasst in Robert Walsers „Poetenleben“, eigens als Übersetzung herausgegeben. Gertrud Kolmar tarnte ihre eigenen Gedichte als Übersetzungen aus dem Englischen, um sie vielleicht doch noch im nationalsozialistischen Deutschland veröffentlichen zu können. Und „Literatur um 1900 ist, wenn man in Deutschland die Verlagsproduktionen anschaut, immer wieder auch Literatur aus den Kerkern, Kellerlöchern und Totenhäusern“, steht geschrieben.
Was die ZEIT über die Ausstellung sagt, führt auch der Katalog mit seinem Panoptikum verbotenen Schreibens eindrücklich vor Augen: „Es sind unterschiedlichste Entstehungsbedingungen, aber alle Texte eint eine innere Notwendigkeit und existenzielle Dringlichkeit.“