Meinungsfreiheit in Südostasien

Dieses Interview mit der thailändischen Verlegerin Trasvin Jittidecharak führte Alice Grünfelder im Frühjahr 2009; seit der Übernahme des Militärs steht zu befürchten, dass die Meinungsfreiheit im Lande nicht mehr selbstverständlich ist. Thailänder lesen ca. zwei Bücher pro Jahr, doch die steigenden Umsatzzahlen (knapp 10 Prozent seit 2003) verweisen auf einen erstaunlich florierenden Wirtschaftszweig, so der thailändische Verlegerverband. Trasvin Jittidecharak, Silkworm Books, ist nicht nur eine engagierte Verlegerin, sondern organisiert auch Workshops in Laos, Kambodscha und Vietnam.

Warum haben Sie den Verlag Silkworm Books ausgerechnet in Chiang Mai, im Norden Thailands, angesiedelt und nicht in Bangkok, wo sich doch alles auf die Hauptstadt konzentriert?

Meine Eltern waren Buchhändler in Chiang Mai und führten die Buchhandlung, die ihnen selbst gehörte, 53 Jahre lang. Erst letzten November verkaufte meine Schwester das Geschäft. Ich selbst habe 1989 Silkworm Books zwar ins Handelsregister eintragen lassen, doch richtig aktiv wurde ich erst zwei Jahre später. Ich lebe sehr gern in Chiang Mai, denn ich schätze die kreative Atmosphäre hier. Aber es stimmt, letzten Endes spielt sich alles in Bangkok ab. Will man Bücher verkaufen, muss man mit einer effizienten Vertriebsstrategie in Bangkok ansetzen.

Seit wann gibt es eigentlich Verlage in Thailand?

Erst nach dem Zweiten Weltkrieg wurden Verlage gegründet, damals aber waren das lediglich Anhängsel von Druckereien. Nur langsam entwickelte sich das Verlagswesen: Zwischen 1950 und 1970 förderte der Staat hauptsächlich die Publikation von Schulbüchern, während sich der private Sektor auf Unterhaltungsliteratur stürzte. Mit dem kurzen demokratischen Frühling 1970 erwachte auch der Hunger nach mehr Lesefutter. Viele ausländische Werke wurden in den darauffolgenden Jahren übersetzt, ohne dass man sich um das Copyright gekümmert hätte. Erst seit 1990 haben sich der Buchhandel und das Verlagswesen – wie überhaupt die Medien – zu einem profitablen Wirtschaftszweig entwickelt. Thailand hatte in den Neunziger zweistellige Wachstumszahlen, und eine sogenannte Mittelklasse konnte sich etablieren. Diese Entwicklung ermöglichte es den Verlagen, sich aus dem Schatten der Druckereien zu lösen, und auch die Buchhändler wurden aktiver.

Wie wird denn in Thailand ein Buch zum Bestseller?

Mehr als 60 Prozent aller Bücher – und damit unterscheide ich nicht zwischen Belletristik und Sachbuch – sind Werke, die übersetzt wurden, und mehr als 80 Prozent wiederum sind Übersetzungen aus dem Englischen. Ein amerikanischer Bestseller hat also gute Chancen, auch in Thailand zu einem Bestseller zu werden. Für die meisten Bücher, die in Thai geschrieben werden, muss man schon die PR-Maschine anwerfen, wenn man Erfolg haben will. In den letzten zehn Jahren haben beispielsweise bekannte Persönlichkeiten aus dem Showbusiness Bücher über sich selbst geschrieben und auch selbst veröffentlicht. Da machte solch eine Celebrity Werbung für Kabelfernsehen und verkaufte gleich mehr als 100 000 Exemplare ihres Buches, das nichts anderes enthielt als Kolumnen, die zuvor in einer Wochenzeitschrift schon erschienen waren. Viele thailändische Romane werden zuerst als Fortsetzungsroman in einer Zeitschrift abgedruckt und nur, wenn sie erfolgreich sind und bei den Lesern gut ankommen, kommen sie als Buch heraus.]

Die Titel in Ihrem Verlagsprogramm scheinen recht ambitioniert und anspruchsvoll, manche sogar ein wenig gefährlich, wie beispielsweise „Blood Brothers: Crime, Business and Politics in Asia“ des Südostasienexperten Bertil Lintner. Und auch Nick Wilgus legt in seinen Krimis den Finger auf die wunden Punkte der thailändischen Gesellschaft. Wie schwer ist es, solche „schwierigen“ Bücher zu verkaufen?

Die Mehrheit der Leser in Südostasien ist zwar nicht so anspruchsvoll wie die Leser im Westen, dennoch sind unsere Bücher durchaus gefragt. Und ja, die meisten Titel dürfen wir offiziell gar nicht in den Nachbarländern verkaufen. Da spielt es schon eine große Rolle, dass unser Verlag seinen Sitz eben in Thailand hat. Auch in geografischer Hinsicht ist dies von Vorteil, denn Thailand liegt sozusagen in der Mitte von Südostasien. Zudem funktioniert die Post einigermaßen gut – wenngleich ich zugeben muss, dass viele Päckchen noch immer spurlos verschwinden. Und wir genießen hier mehr Meinungsfreiheit als beispielsweise in Vietnam und Kambodscha.
Es ist tatsächlich nicht ganz einfach, englischsprachige Bücher zu verlegen. Schließlich stehe ich damit in Konkurrenz zur ganzen Welt, aber in Thailand selbst habe ich damit eine Nische gefunden. Unsere Leser lassen sich in zwei Kategorien aufteilen: In Akademiker, deren Zahl in den letzten Jahren mehr oder weniger gleich geblieben ist, und in die wirklich interessierten Reisenden. Englisch ist zudem die Lingua Franca für Wissenschaftler in Südostasien, und je besser die Ausbildungssituation ist, desto mehr Leser werden generiert.
Ich würde übertreiben, wenn ich behauptete, dass wir finanziell gut dastehen würden. In der derzeitigen Wirtschaftskrise sind wir schon froh, wenn uns das Wasser nur bis zum Hals steht. Um zu überleben, müssen wir den Markt genau analysieren und einen realistischen Endverkaufspreis bestimmen, denn n Preiserhöhungen für Benzin und Lebensmittel haben direkten Einfluss auf den Markt. Als beispielsweise 1997 die ganze Region in eine wirtschaftliche Krise schlitterte, verloren zwar viele Koreaner ihren Job, doch die Kinder- und Jugendliteratur boomte. Die koreanischen Eltern setzten ihre ganze Hoffnung in die nächste Generation und investierten jetzt erst recht in die Ausbildung ihrer Kinder. Ich habe daraus einen ganz persönlichen Schluss gezogen: Wenn die Konkurrenz zunimmt und das Geschäft härter wird, müssen die Leute besser informiert sein und eben gerade darum unsere Bücher lesen.

Was hat es mit der Mekong Press unter dem Dach von Silkworm Books auf sich?

Immer mehr Werke aus dem Westen werden übersetzt, aber Bücher von südostasiatischen Autoren werden im Westen kaum gelesen. Das fehlende Bindeglied ist wie so oft die fehlende Information darüber, wie man publiziert, wie man Geld für Bücher auftreibt und wie man sie verkauft. Ich schlug der Rockefeller Stiftung vor, diesen Graben zwischen Ost und West zu schließen, indem man das einheimische Verlagswesen fördert, und sie akzeptierten meinen Vorschlag. Mekong Press firmiert als NGO. Und wir unterstützen jedes Jahr die Ausbildung eines angehenden Verlegers hier bei Silkworm, letztes Jahr luden wir gleich zwei Laoten ein. Wir bieten auch Workshops übers Bücherverlegen an und geben praktische Tipps weiter. In Vientiane organisierten wir ein Seminar über Korrektorat und Lektorat und in Hanoi einen Workshop zum internationalen Urheberrecht. Zudem planen wir derzeit einen Workshop zum Thema Lektorat in Phnom Phen, weil mich neulich ein Verleger fragte, was das überhaupt sei und ob es mit dem Drucken eines Buchs nicht getan wäre.

Geraten Sie dabei in Konflikt mit den jeweiligen Regierungen?

In Vietnam sind alle Verlage Staatsbetriebe. Sie können alles publizieren, solange sie regierungskonform sind. In der Praxis gibt es zwar viele Unternehmer, die in eine Publikation investieren, doch sie dürfen dafür keinen Kredit aufnehmen und müssen sich zudem an die Vorgaben der Zensurbehörde halten. Solch eine strenge Informationspolitik ist ein Fallstrick. Wir versuchen, Verlagsmitarbeitern Know-how zu vermitteln, und laufen damit gleichzeitig Gefahr, gegen die Gesetze zu verstoßen.
In Kambodscha hingegen ist die Gesellschaft offener, es gibt auch mehr Möglichkeiten, doch die Wirtschaft funktioniert dort nicht wirklich. Der Staatshaushalt befindet sich in völliger Abhängigkeit von ausländischen Geberländern. Die einfache Bevölkerung kann sich kein Buch leisten. So weit ich weiß, unterstützt die französische Regierung großzügig Kinder- und Jugendbuchverlage, aber das reicht nicht. Die Druckereien sind auf NGOs als Kunden angewiesen (ähnlich wie in Laos). Ich glaube, es wird noch etwa fünf Jahre dauern, bis sich diese Situation verbessern wird.
Mir bleibt jedenfalls die Hoffnung, dass wir für das Printwesen Standards setzen können. Und wir glauben, dass die Qualität und die Quantität der Leser einen nachhaltigen Einfluss auf die Meinungsfreiheit haben wird, an der es hier in der Region noch mangelt.

Silkworm Books
www.silkwormbooks.com
www.mekongpress.com

© Das Interview erschien im Frühjahr 2009 in LiteraturNachrichten, hrsg. Gesellschaft zur Förderung der Literatur aus Afrika, Asien, Lateinamerika.

Literatur aus Thailand:
Rattawut Lapcharoensap: Sightseeing (Kiepenheuer)
Reise nach Thailand: Geschichten fürs Handgepäck (Unionsverlag)
Nick Wilgus: Der Pfad des Mörders (Ullstein)
Christopher G. Moore: div. Krimis (Unionsverlag)