Ein verhängnisvoller Augenblick

 

siebenjahreAlles scheint klar zu sein. Ein durchgeknallter Mann hat seine Frau getötet, ein Tal geflutet und damit Hunderten von Menschen den Tod gebracht. Doch warum muss der Sohn dieses „Staudammmonsters“ nomadisierend durchs Land ziehen? Kaum hat er sich irgendwo niedergelassen, wird seine Herkunft wenige Wochen später aufgedeckt. Jemand scheint ihm ein neues Leben zu missgönnen, nur wer? Diese Frage ist eine von vielen in Sieben Jahre Nacht der Autorin Jeong Yu-jeong. Tatsächlich sind es sieben ziemlich düstere Jahre, die der Sohn in Obhut eines Onkels – der sich zwar rührend um ihn kümmert, dabei aber sein eigenes Leben verkümmern lässt – von einem Ort zum anderen zieht.

Die Gründe für die Flutung des Tals und die damit zusammenhängenden Morde werden in langsamem Erzähltempo sorgfältig freigelegt. Choi Hyunsu, ein gescheiterter Baseballspieler, handelte im Bruchteil einer Sekunde falsch. Er hat nicht nur ein elfjähriges Mädchen in nicht mehr ganz nüchternem Zustand angefahren, sondern es erstickt und in den See geworfen. Man entscheide „sich seltsamerweise bisweilen für das größte aller Übel, obwohl bessere Alternativen direkt vor uns liegen“, erklärt die Autorin im Nachwort diesen verhängnisvollen Augenblick, der so viele Menschenleben kosten wird.

Und wie das Mädchen also hineinfällt in den See und von einem Taucher zufällig gestreift wird, so schraubt sich die Handlung fortan wie in einer Abwärtsspirale immer tiefer in die Figuren, in die Unterwasserwelt eines gefluteten Dorfes. Kapitel für Kapitel werden aus wechselnder Perspektive die anfangs glatten Oberflächen aufgeraut, den Charakteren immer wieder neue Nuancen hinzugefügt, sodass sie greifbarer werden. Die einen allerdings weniger als die anderen, so bleiben beispielsweise gerade die Frauenfiguren seltsam passiv oder verharren in einer hysterischen Starre.

Ein wenig quer im Raum mag die Binnenerzählung stehen. Der Onkel, der sich des Jungen annimmt, recherchiert jahrelang die Hintergründe dieser Tragödie für einen Roman, verschwindet eines Tages plötzlich, doch dem Jungen wird das Manuskript auf mysteriöse Weise zugespielt. So kommt zu den vielen Figurenperspektiven, die die Geschehnisse der Vergangenheit aufdröseln, noch jene des Autors und des Jungen in der Gegenwart hinzu. Nicht immer ganz einfach zu entschlüsseln, aber reizvoll allemal.

Krimis aus Korea seien im Westen noch nicht angekommen, so die Literaturkritikerin Katharina Borchardt. Und sie fragt den Krimikenner Frank Rumpel, ob dieser Thriller mit seinen schrägen Figuren denn nicht überall spielen könnte? Einige Motive seien durchaus koreanisch, so Frank Rumpel, der Drachen im See, das schamanistische Ritual, mit dem die Seele des ermordeten Mädchens gerettet werden soll. Misstrauen, gesellschaftliche Zwänge und Vereinzelung hingegen seien durchaus universelle Themen.

„Von der Welt zwischen den Tatsachen und der Wahrheit handelt dieser Roman“, schreibt die Autorin, und zugleich sei es „eine Geschichte über die innere Hölle, die jeder in sich trägt.“ Die verstörende Düsternis flackert noch lange nach; Bilder von rätselhaften Unterwasserwelten, die offensichtlich nichts anderes sein wollen als Symbole für die Abgründe, die in unserem Alltag lauern. Und dennoch, so die Autorin, sollten wir trotz der Ausweglosigkeit des Daseins „Ja zum Leben“ sagen können.

Jeong Yu-jeong: Sieben Jahre Nacht. Aus dem Koreanischen von Kyong-Hae Flügel. Unionsverlag, 2015, 520 Seiten