Li Bai

Li Bai: der verbannte Unsterbliche

Die erste Biografie dieses bedeutenden chinesischen Lyrikers liegt nun vor.

Noch heute müssen Schulkinder seine auswendig lernen, werden bei Festen seine Gedichte als Trinksprüche aufgesagt; Li Bai (701-762) ist wegen der Bild- und Sinnhaftigkeit seiner Gedichte der wohl bekannteste Lyriker Chinas. Nach ihm sind Schnäpse und Weine benannt, Kneipen und Hotels tragen seinen Namen: Li Bai ist zu einer Marke geworden. Im Westen wurde er zunächst einer breiteren Leserschaft durch die Nachdichtungen von Ezra Pound bekannt und dessen wohl bekanntestes Gedicht „Die Frau des Flusshändlers“. Im deutschsprachigen Raum dichtete Hans Bethge altchinesische Lyrik nach, und auf eine seiner Li-Bai-Übertragungen bezog sich wiederum Gustav Mahler bei der Komposition „Lied von der Erde“. Nun liegt zum ersten Mal eine ausführliche Biografie dieses Poeten auf Deutsch vor.

Wer war dieser Jahrtausenddichter, der an der Westgrenze Chinas, im heutigen Kirgisien, von einer Nicht-Chinesin geboren wurde? Ausführlich beschreibt Ha Jin von Li Bais Ehrgeiz, politische Karriere machen zu wollen, aber auch von fröhlicher Unbekümmertheit und lustvollen Ausschweifungen. Dabei stützt sich er auf Li Bais Gedichte, wenngleich er gelegentlich mild-empathisch über die Stilisierung des lyrischen Ichs lächelt. Zwei Sammlungen mit etwa 1000 Gedichten und Prosaminiaturen sind erhalten geblieben, auch wenn der größte Teil seiner Werkes offenbar verlorengegangen ist. Zudem greift der Biograf auf die Aussagen von Zeitgenossen zurück. Du Fu (712 –770) beispielsweise, der sozialkritischere und jüngere der beiden Lyriker – auch sein Ruhm ist bis heute ungebrochen – hat ihm einige Verse gewidmet, da er ihn als junger Mann bewunderte.

„Wenn sein Pinsel zum Schreiben ansetzt, weckt er Wind und Regen auf.“ „Dein Talent ist zu groß für Erfolg / deine Tugenden sind zu nobel, als dass anderes sie teilen könnten.“
Du Fu

Stolz und Ungeduld

Sich selbst beschrieb der Lyriker als jemand, der die Laute im Arm herumfläzt, Nektar schlürfe und schluckt Elixiere für ein langes Leben schlucke, als „Schildkrötenangler im Ozean“, als großer Vogel Rokh, worin sich sein taoistisches Naturverständnis zeigte und die Überzeugung, die Natur trage im Grunde die Dichtung in sich und offenbare sich nur demjenigen, der offen sei für die passenden Verse.

Li Bai fällt bereits als Junge auf, hat einen wachen Geist und ein gutes Gedächtnis, sodass der Vater ihm eine gute Ausbildung zuteil werden lässt in der Hoffnung, sein Sohn könnte später aufsteigen, denn er selbst ist schließlich nur Händler, gehört damit zu den unteren Schichten der chinesischen Gesellschaft. Doch das Studium der alten Klassiker findet Li Bai bald fad, er tut sich stattdessen im Schwertkampf hervor und fühlt sich eher zu den Schriften der Taoisten hingezogen. „xiaoyao you – frei und ungehindert umherschweifen“ macht er sich als Lebensmotto zu eigen und bald schon zum Maßstab seiner Lyrik. Auch hier schätzt er die reglementierte Form nicht, sondern orientiert sich an der frühen Volksdichtung, die weder eine feste Metrik noch ein Reimschema kennt.

Dennoch strebt Li Bai schon früh danach, als wichtiger politischer Berater an den Hof gerufen zu werden: Wie oft spricht er vor, gibt in Gesprächsrunden sein Wissen und seine Dichtkunst zum Besten, lässt sich indes hinreißen zu Selbstüberschätzung und Spott – was seine Gastgeber irritiert, weshalb sie ihn rasch loswerden wollen. Überheblichkeit, Stolz, Verachtung: wenig sympathische Charaktereigenschaften, die Ha Jin indes nicht weiter bewertet. Einmal nur gelingt ihm ein kurzer Aufenthalt in der Hauptstadt, doch nach zwei Jahren reicht er bereits sein Rücktrittsgesuch ein – zu schal erscheint ihm die Politisiereri. Andererseits ist Li Bai zeitlebens getrieben von der Sehnsucht, sich zurückzuziehen und einzig der Dichtkunst zu widmen. Dass aber der Rückzug in die Natur ohne harte Arbeit nicht zu haben ist, davor verschließt Li Bai zeitlebens die Augen. Nie wäre er Bauer geworden, Natur ist für ihn vornehmlich ein religiöser und ästhetischer Raum. Er liebt das Leben in freier Natur, das schon, lässt aber lieber seine Bediensteten die Äcker bestellen, während er sich am Anblick eines Wasserfalls ergötzt. Wie zerrissen Li Bai zwischen seinem politischen Ehrgeiz, seinem lyrischen Schaffen, seiner Trunksucht ist – oft treffen ihn Freunde und Mitreisende schon nachmittags betrunken an, was ihn jedoch nicht am Schreiben hindert -, ist ein Topos in dieser Biografie des Tang-Dichters.

Schwärmt er in seinen frühen Gedichten noch von Kurtisanen und einem Leben am Hof, von unversehrter Natur und hochtrabenden Plänen, erzählen seine Lieder zunehmend vom Elend und Leid der Menschen, was ihn zum Höhepunkt seiner Dichtkunst führt, so der Biograf Ha Jin. Einmal springt ihn das das Schicksal der Treidler am Oberen Yangtse an. “Wie schwer sich die Treidler mit dem Kahn taten. / Das schlammige Wasser war ungenießbar, / jeder Kessel nach dem Abkochen halb voll mit Erde. / Von Ferne klang das Arbeitslied, das sie sangen. / Es brach mir das Herz und rührte mich zu Tränen. / Tausende Männer brachen riesige Steine, / und konnten sie kaum zu Ufer schaffen. / Sieh die vielen Felsbrocken, die noch herumliegen – / die endlose Fron machte mich weinen.“

Spät im Leben folgt die sehnsüchtig erwartete Chance, doch Li Bai setzt auf das falsche Pferd und macht sich für einen Rivalen des Kaisers stark. Er wird verhaftet, noch im Gefängnis tobt Li Bai, er sei zu Unrecht eingesperrt worden. Als der Kaiser ihn amnestiert, meint er, dies habe er seiner Dichtkunst zu verdanken. Schließlich wird er im Januar 764 als Berater an den kaiserlichen Hof gerufen, doch da ist er schon zwei Jahre tot. Der Legende nach, die sich bis heute hartnäckig hält, war er mit einem Boot unterwegs auf einem Fluss und wollte in betrunkenem Zustand den Mond auf dem Wasserspiegel umarmen.

Fron und Frauen

Was Li Bais Gedichte neben der Bildhaftigkeit und Regellosigkeit seiner Werke noch unterscheidet, ist die weibliche Perspektive in manch seiner Gedichte. Er schreibt über Kurtisanen und Sängerinnen, aber auch über Arbeiterinnen und seine erste Frau, die er bemitleidet, dass sie einen so untüchtigen und erfolglosen Lyriker zum Mann hat. „Dreihundertfünfundsechzig Tage im Jahr / bin ich betrunken und schlapp wie Matsch. / Wie schrecklich für dich, dass du Bais Frau wurdest. / Es ist, als hätte man einen Idioten zum Mann.“ Seine zweite Frau, eine überzeugte Daoistin, hatte vergeblich versucht, ihn von der politischen Bühne fernzuhalten. Doch „seine Heimat war die Straße und sein Wesenskern das ewige Wandern“.

Die Problematik, sich am lyrischen Ich für eine Biografie auszurichten, erläutert die kompetente Übersetzerin Susanne Hornfeck in einem Nachwort: Ha Jin interessiere sich weniger für die Form der Gedichte, sondern lediglich für deren Inhalt, was die Übersetzerin in ein Dilemma stürzte. „Meine Aufgabe war es, Ha Jin zu übersetzen, nicht Li Bai. Dennoch habe ich das als Sinologin natürlich mit einem Seitenblick auf das Original getan. (…) Insofern war ich bei diesem Übersetzungsauftrag gleichzeitig Dienerin zweier Herren.“

Ha Jin erzählt linear und konventionell das Leben des Dichters nach, wobei sich die Frage aufdrängt, wie sich eine Biografie vielleicht anders als fadengerade erzählen ließe? Wenn sich die Zerrissenheit zwischen Rückzug und Karrierewillen in einer ermüdenden Redundanz wiederholt, weil Li Bai nicht aus sich herausfindet und es ihm zeitlebens nicht gelingt, endlich in Einklang mit den ihn zerreißenden Ansprüchen zu leben? Das moniert auch der Literaturkritiker Han Zhang in der New York Times. Gleichwohl sieht er Parallelen im Leben des Tang-Lyrikers Li Bai und Autors Ha Jin: Auch Ha Jin musste seine Heimat verlassen, seine Empathie mit dem Dichter rührt an eigene Gefühle, seine Sehnsucht, endlich anzukommen, die Zerrissenheit hinter sich zu lassen. In dem Gedicht „Dankbarkeit“ schreibt er über Du Fu und Li Bai, über deren bitterem Schicksal, aus dem so wunderbare Poesie erwuchs. Bitternis als Grundlage für exzellente Lyrik gar?

Der Rückzug à la Li Bai hat jedenfalls Tradition – Unter dem gegenwärtigen harschen Regime hört man gelegentlich von Kulturtätigen, die sich aufs Land zurückziehen, um dort auf bessere Zeiten zu warten. Dass Bedeutendes in dieser neuerlichen selbstgewählten Isolation entsteht, darauf wird zu hoffen sein.

Erschienen ist eine kürzere Rezension in der NZZ, das Buch selbst wurde bei Matthes&Seitz veröffentlicht.

Ha Jin: Der verbannte Unsterbliche. Das Leben des Tang-Dichters Li Bai. Aus dem

Buch Vernissage Schön Glücklich

„schön & glücklich“ – Noch …

… kann ich es kaum glauben: Nach fünf Jahren, nach dem immer wieder neuen Kombinieren von Text und Fotografie, dem Überarbeiten, dem Weglassen und Hinzufügen, dem Überdenken und neu schreiben, der Verlagssuche, feiern wir – Mine Dal und Alice Grünfelder – unsere erste gemeinsame Publikation „schön & glücklich“. Hinter dem Titel könnte durchaus ein Fragezeichen stehen, denn genau um die Hinterfragung dieser gesellschaftlich erwünschten, aber unerquicklichen Ziele geht es uns.

«schön & glücklich» (Songdog-Verlag, September 2023) skizziert in Text und Bild einen Lebensbogen, der Abgründen entlanggleitet: von der Kindheit übers erste Verliebtsein bis hin zur schmerzhaften Trennung und inneren Schönheit im Alter. Bei der Vernissage sprechen wir über die Bedeutung von leeren Schaukeln im Niemandsland, über Verborgenes unter Plastikplanen, über steinerne Landschaften. Denn die Fotografien und Texte führen in eine Welt, die erst auf den zweiten Blick zu erahnen ist. Und das Zusammenspiel von Sprache und Bild eröffnet noch eine weitere, ein dritte Dimension.

Das Gespräch moderiert Nadine Olonetzky, Autorin und Herausgeberin von Fotobüchern.

Ort und Zeit: Photobastei, Zürich; 7. September 2023, 19 Uhr.

Taiwankatze

Taiwan – Eine Grenzüberschreitung mit Katze

Gastbeitrag von Margrit Manz

Von 1989-94 hatte die Sinologin, Übersetzerin und Schriftstellerin Susanne Hornfeck eine Stelle in der Fremdsprachenabteilung der National Taiwan University angetreten. Den Anfang in Taipei beschreibt sie als harte Erfahrung. „Ich bin aus der Zeit gefallen. Überall fühle ich mich einen Kopf zu groß, bin sofort als Ausländerin erkennbar. Eine feuchte Hitze überzieht meinen Körper mit einem Schweißfilm, unvermittelte Regengüsse durchweichen die Schuhe, Moskitos stürzen sich auf unbedeckte Körperstellen. Um in die Uni zu kommen, muss ich zweimal täglich die Stadt durchqueren, immer im Nahkampf mit dem chaotischen Verkehr.“
Ein Glück, dass sie dieses Abenteuer nicht alleine bestreiten muss. Ihr Mann, im Buch G. genannt, bietet ihr nicht nur Halt in der Fremde, sondern auch ein mentales Zuhausesein, das nur eine langerworbene Symbiose möglich macht. Mit G. sind wieder Rituale in den Alltag eingekehrt, zum Beispiel der abendliche Gang mit Zigarette und Müllbeutel. Er versteht sich auch ohne weitreichende Sprachkenntnisse mit den Menschen in der neuen Umgebung. G. ist Maler, also ein Augenmensch, und sieht die Schriftzeichen in ihrer ursprünglichen Bedeutung, als Wasser, Mond und Sonne. Auf dieser Ebene kann er mühelos mit dem Hausmeister plaudern, irgendwie geht’s um Familie, Hühnerhaltung und Gemüseanbau. Dass bald noch eine weitere Hausgenossin hinzukommt, macht aus dem Zweier- ein Dreierbündnis und ermöglicht die perfekte Balance, eine fremde Kultur bewohnen zu können.
Die Wildkatze Shaobai wird der Autorin ausgeliehen, um Plagegeister wie Ratten und Mäuse fernzuhalten. Sie ist bei weitem kein Schmusetier, sondern kratzbürstig, unnahbar und verteidigt ihren Willen mit ausgefahrenen Krallen. Ihre Streifzüge durch die benachbarte Wildnis sind unberechenbar. Sie kommt und geht wie sie will. Und doch entsteht eine Art Kommunikation zwischen der Autorin und ihr. „Ihr kann ich von meinem anstrengenden Tag erzählen und sie spricht zurück. Sie miaut in langen, modulierten Phasen. So reden wir miteinander.“ Trotzdem oder gerade deswegen bleibt Shaobai immer eine echte Katze und wird nie zum Lebensersatz. Der Name Shaobei bedeutet übrigens „wenig Weiß“ und hat mit einem weißen Fleck unter dem Schnauzbart zu tun.
Nach und nach erwärmt sich Shaobai für ihre menschlichen Mitbewohner und erwartet die Autorin schon, wenn sie abends von der Universität kommt. Doch will sie nicht sofort begrüßt werden, sondern klettert erst den Baum hinauf, um sich von oben gebührend zu präsentieren. Auch G. wird umworben. Wenn Shaobai seine Ischias-Schmerzen spürt, schmiegt sie sich heilend an seine Hüfte.

Einen „Wildling“ zähmen?

Um das mal klarzustellen, auch wildlebende Katzen verirren sich manchmal in die Nähe des
Menschen. Doch im Gegensatz zur Hauskatze kommen sie wunderbar ohne dessen Zuwendung zurecht. Wildkatzen, wie Shaobai, lassen sich nicht mit jedem ein. Sie sind nicht wirklich auf den Menschen als Sozialpartner geprägt. Gewöhnung ist erlernbar, und das dauert ein Leben lang. So hat Shaobai gelernt, mit ihren beiden Mitbewohnern zu leben! Die größte Liebe, die man solch einem Tier entgegenbringen kann, besteht darin, dass man akzeptiert, den Vierbeiner nie richtig „besitzen“ zu können! Die Gegenliebe funktioniert nur unter Wahrung einer körperlichen Distanz. Das bedeutet nicht, dass die Katze ihre Menschen weniger gern hat. Zum Glück sind Katzen ein Ausbund an Neugier, man kann sie immer wieder mit etwas „Neuem“ verführen.
Obwohl Shaobai eine Haupt- oder Mittlerrolle im Buch einnimmt, wird hier keine nette
Katzengeschichte erzählt, sondern in 32 leichtfüßigen – oder sollte ich sagen – samtpfotigen Kapiteln eine Hommage an das Leben und das Glück gemacht. Denn es ist nichts anderes als Glück, das Leben genau am richtigen Ort und zur richtigen Zeit verbringen zu dürfen. Fünf Jahre, die abenteuerlich und herausfordernd waren und noch lange nicht fertig geschrieben sind.

Vom Sinn des Fremdseins erzählen

Im Buch Taiwankatze, das vor kurzem im Drachenhausverlag erschienen ist, erzählt Susanne Hornfeck über ihre Erfahrung, vielfältige Grenzen zu überschreiten. Grenzen, die sowohl im mentalen wie auch im physischen Bereich eigentlich fest eingeschrieben zu sein scheinen, deren Überschreitung dann im besten Fall die Entdeckung von unbekannten Zwischenorten oder fremden Kulturen ist. Doch wie sagt man so schön: Nichts ist aus sich heraus und notwendig fremd. Fremd ist nur, was als solches erlebt wird. Solch ein Gefühl also umzuwandeln in etwas Akzeptables oder sogar Vertrautes, ist manchmal Schwerstarbeit, für Menschen genauso wie für Tiere. Susanne Hornfeck weiß eine Menge über das Leben in Taipei zu berichten, etwa, dass Taiwaner auf dem Friedhof Angst vor hungrigen Geistern haben oder dass große schwarze Vögel, Drongos genannt, täuschend echt Klingeltöne von Handys nachahmen können. Sie erklärt, warum es Filmvorführungen vor der Statue des Erdgottes gibt, der wohl Kungfu-Darbietungen bevorzugt, und warum ihre Studenten total irritiert auf Goethes Vers „Vom Eise befreit sind Strom und Bäche“ reagieren. Dass im Tale Hoffnungsglück grünet, ist für sie nicht nachvollziehbar, denn ein Frühlingserwachen nach einem kalten Winter kennen die Taiwaner nicht. Es ist entweder heiß oder weniger heiß auf der Insel.

„Ein neues Leben aufs Gleis setzen“

Susanne Hornfecks Interesse an China wurde schon als Schülerin geweckt, als ihr ein chinesisch-deutscher Gedichtband in die Hände fiel. Die fremdartige Schrift faszinierte sie. Damals konnte sie nicht wissen, dass diese Leidenschaft für ein ganzes Leben reichen würde. Hornfeck studierte später Sinologie, Germanistik und Deutsch als Fremdsprache in Tübingen, London und München. Danach ging sie für fünf Jahre als DAAD-Lektorin nach Taipei, um Deutsch zu unterrichten. Unterdessen sind über dreißig Jahre vergangen, und es war höchste Zeit, ihren Aufenthalt in Taipei und ihre Rückkehr nach Schliersee noch einmal literarisch aufzurufen. Eine Neuorientierung nach ihrer Rückkehr blieb nicht aus, und auch hier half die Katze, Routine in die Alltagsgeschäfte zu bekommen. Als gefragte Übersetzerin blieben die Angebote nicht aus. Neben renommierten Autoren aus China und Taiwan (Ha Jin, Qiu Xiaolong, Zhang Ailing, Yang Mu) übersetzt sie auch aus dem Englischen. Ihre Domäne sind Sachbücher, Kinder- und Jugendbücher. Für ihre Arbeit wurde sie unter anderem mit dem C.H. Beck Übersetzerpreis, der Blauen Brillenschlange (Stiftung Pro Helvetia), dem Max-Geilinger-Übersetzerstipendium und dem Sonderpreis der Jury der Jungen Leser des Literaturhauses Wien ausgezeichnet. Sie ist Autorin mehrerer Jugendbücher in der Reihe Hanser dtv und hat zusammen mit Nelly Ma Bücher über TCM verfasst. Heute lebt und arbeitet sie in Oberbayern. Was für sie die Kunst des Übersetzens ausmacht, hat Hornfeck so beschrieben: „Auch literarische Texte verlassen eine Kultur, setzen in eine andere über und führen in einer anderen ein neues „übersetztes“ Dasein.“

Weiter „mit eingezogenem Kopf“

„Die Inselrepublik, in die wir nach unserem Aufenthalt von 1989 bis 1994 immer wieder zurückgekehrt sind, ist über die Jahre eine andere geworden. Taiwan hat sich nach den Rangeleien der Anfangszeit zu einer mustergültigen Demokratie entwickelt. In Sachen Diversität können wir von Taiwan nur lernen. Eine ehemalige Hackerin ist die erste Transgender-Ministerin der Welt. Zu den Naturkatastrophen, wie Erdbeben, Taifune, Überschwemmungen und Erdrutschen ist jetzt die menschengemachte Bedrohung vom gegenüberliegenden Ufer hinzugekommen. Das wandelt natürlich auch die Menschen. Der Optimismus aus den Jahren des Aufbruchs ist zu einer Art „Schockstarre“ geworden und einem Leben „mit eingezogenem Kopf“ gewichen“. So fasst Susanne Hornfeck ihre Gedanken zur aktuellen Situation in Taiwan zusammen.
Taiwans wechselvolle Geschichte von einer Provinz, über eine Kolonie und Diktatur bis hin zur Demokratie war ein mühevoller Prozess. Immerhin war das Kriegsrecht in Taiwan von 1949-87, dass längste das jemals in der Welt verhängt wurde. Seit Ende der 1980er hat sich das Land zu einer der fortschrittlichsten Demokratien Asiens entwickelt mit einer gesetzlich verankerten Ehe für alle und einer vorbildlichen Gesundheitsversorgung. In nur wenigen Jahren wurde die Gründung neuer Zeitungen und Zeitschriften liberalisiert. Zahlreiche soziale Bewegungen forderten immer wieder politische, aber auch gesellschaftliche Reformen ein. Auch der Umweltschutz wurde dabei zu einem wichtigen Thema. Unterdessen hat Taiwan durch seine Halbleiter- und Computerchipproduktion weltweit eine große wirtschaftliche Bedeutung erlangt. Die Probleme Taiwans liegen also weniger in der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern in der geopolitischen Weltlage.

Kompliment an die Autorin

Kurzum, es macht einfach Spaß in den Erinnerungen der Autorin zu schwelgen. Durch die Katze Shaobai wird gekonnt eine Brücke zwischen ihnen geschlagen. Gegenteiliger können wohl die Kulturen nicht sein, die taiwanische, wie sie vor dreißig Jahren war und in vielem noch heute funktioniert, und die Oberbayerische, die sicher auch ihr Kontinuum vorweisen kann. Susanne Hornfeck macht deutlich, wie schwer es war, nach fünfjährigem Aufenthalt in Taipei ins bayrische Leben zurückzufinden. Als das Ehepaar beschlossen hatte, auch die Katze mit an den Schliersee zu nehmen, wussten sie nicht, wie Shaobai das Fremdsein verkraften würde. Vielleicht ist es ihrem eigenwilligen Charakter zu verdanken, dass sich die Zumutungen der Ankunft und die Neugier auf Neues die Waage hielten.
Mit der „Taiwankatze“ ist ein poetisches Buch über die Freundschaft zwischen Mensch und Tier entstanden. Eine wunderbare Lektüre, ein Lesevergnügen der Extraklasse.

P.S. Das erste Katzencafé in Taipeh
Die meisten Katzencafés der Welt befinden sich in Japan. Mittlerweile können Menschen in über 300 Cafés in ganz Japan ihren Kaffee trinken und dabei eine Katze streicheln – wenn diese es zulässt. Katzencafés sind in Japan vor allem deshalb so beliebt, weil viele Wohnungen dort sehr klein sind und sich nicht für die Katzenhaltung eignen. Der Trend stammt allerdings aus Taiwan, wo 1998 in Taipei das erste Katzencafé der Welt eröffnete.

Margrit Manz ist Journalistin und Redakteurin mit Themenschwerpunkt China. Seit über 20 Jahren berichtet sie über Wirtschaftsbeziehungen und Kulturaustausch, informiert über Tourismus und regionale Küche, rezensiert neue Bücher. Ihre Texte werden regelmäßig in Print- und Online-Magazinen in Deutschland und der Schweiz veröffentlicht, u.a. im Magazin RUIZHONG der Gesellschaft Schweiz-China und auf der Internetplattform China Report.

Susanne Hornfeck: Taiwankatze. Drachenhausverlag 2023, 100 Seiten.

Wut

CH-Frauenstreik – aus taiwanischer Sicht

Zum Frauenstreik am 14. Juni 2023 bat mich der Rotpunktverlag um ein Statement. Warum nicht einmal von außen beschreiben, was an der sogenannten Gleichberechtigung à la Suisse auffällt? Ich fragte also bei meinen taiwanischen Bekannten nach, die in der Schweiz leben. Denn die taiwanische Zivilgesellschaft ist für ihre Streitbarkeit durchaus bekannt.

Die Gleichberechtigung in Taiwan, auch die Lohngleichzeit zwischen Mann und Frau ist in Taiwan eine Selbstverständlichkeit bzw. Taiwan belegt diesbezüglich – je nach Datenerhebung – weltweit und insbesondere in Asien die vordersten Plätze. So sagt beispielsweise Sound-Artistin Pei: „Gender equality for me is just like water or air.“ Mina Yeh schreibt, dass sie über den Frauenstreik in der Schweiz nie groß nachgedacht und erst aus den Medien erfahren habe, dass Frauen und Männer ungleiche Löhne erhielten. „Warum bezahlen Frauen hier mehr Krankenkassenprämien als Männer?“ fragt eine dritte. „Als ob wir von der Gesellschaft dafür bestraft werden, Frau zu sein?“

Für Monica Hung, Mutter und Pianistin, ist der „Frauenstreik“ absolut notwendig. „Ich war überrascht, als ich vor drei Jahren in die Schweiz zog, wie konservativ und traditionell die Gesellschaft hier ist. Zwar geben die Menschen sich betont kinderfreundlich, aber nicht so freundlich gegenüber arbeitenden Müttern. Die meisten glauben noch immer, dass eine Mutter zu Hause bleiben sollte, wenn sie nicht arbeitet, und dass sie unverantwortlich handelt, wenn sie ihre Kinder in eine Tagesstätte schickt. Muttersein ist ein 24-Stunden-Job, der das ganze Jahr über unbezahlt ist. Warum sollte eine Frau das ganze Jahr über zu Hause bleiben müssen, um sich um ihre Familie und ihre Kinder zu kümmern, wenn sie Mutter wird? Und wenn sie eine gute Arbeit findet, muss sie, wenn ihr Kind in den Kindergarten geht, zum Mittagessen zu Hause sein, weil das Kinderbetreuungssystem so rückständig ist. Selbst in Taiwan essen die Kinder seit 40 Jahren in der Schule zu Mittag. Als Frau und Mutter, die lange Zeit in Asien in Taiwan gelebt hat, war ich verblüfft, dass die Gesellschaft in diesem fortschrittlichen westeuropäischen Land immer noch in einer agrarisch strukturierten, von Männern dominierten Gesellschaft feststeckt.“



Lawine

Lawinengeröll

Lektürenotiz zu einem Bergroman. In Robert Prossers jüngstem Roman wird viel zugeschüttet, entgleitet, driftet ab.

Die Kusine des Protagonisten Xaver und deren Freund werden von einer Lawine erfasst, sie wird gefunden, nach ihm wird noch immer gesucht. Zähes Misstrauen legt sich über das Dorf: Wer ist schuld? Aus Xavers Familie kann ja nichts Gutes kommen, sagt die Mutter des vermissten Jungen, als sie Xaver einmal auflauert. Und ja, die blutig-fleischigen Schlachtszenen am Anfang könnten diesen Verdacht aufkommen lassen, doch bei der Beschreibung und überhaupt beim Lesen des Romans merkt man schnell, dass es um etwas anderes geht als um Offensichtlichkeiten. Zum Beispiel um Glück, wenn Xaver und sein Freund Flo, der von einem Pilztrip nicht mehr zurückfand in die Welt, nebeneinander auf einem Felsen sitzen und ins Wasser schauen.

Berührend ist das Verhältnis zwischen Xaver und seiner Mutter, die sich nach dem Bankrott des Gasthofes – wie ein Lawine stürzt sich die unaufhaltsame Moderne ins Tal und reißt alles mit sich, was den neoliberalen Normen und Ansprüchen der Touristen nicht mehr genügen kann – in die felsenkalte Gebirgseinöde zurückzieht und ein schwärendes Mutterloch zurücklässt. Ihr Mann und Vater von Xaver ist längst dahin wieder zurückgekehrt, woher er einst gekommen war, weil ihn die Gastwirtinspielerei seiner Frau nur noch abgestoßen hat. Die lebt nun dort oben in einer Steinwelt, wohin sich bloß wenige Menschen verirren, in einem nicht über alle Zweifel erhabenen Zusammenspiel mit dem Eremiten Mathoi – einem Seher bestenfalls, der dem Sohn nicht geheuer ist. Doch ausgerechnet und wie Xaver es auch hofft, findet der Einödler den vermissten Jungen. Um aber seine Mutter und Mathoi vor den gehässigen und Zungen wetzenden Dörflern zu schützen, gibt er vor, den Jungen selbst gerettet zu haben.

Lawinen schütten zu. Robert Prosser deckt in seinem kühlkalten Bergroman auf, ohne seine Figuren zu entlarven, erzählt von leisen Versehrungen, von Träumen und Sehnsüchten, die meistens unerfüllt bleiben. Und doch klingt das Ende des Romans so, als gehe das Leben um ein Nuance versöhnlicher weiter.

Robert Prosser: Verschwinden in Lawinen, Jung und Jung, 2023, 192 Seiten

Robert Prosser, der auch ein begnadeter Perfomer ist, wurde zu den Literaturtagen in Klagenfurt 2023 eingeladen (hier gehts zum Autorenporträt).

Jahrhundertsommer

Magda, DIE Frauenfigur dieses Literaturjahres …

… schreibt die Literaturvermittlerin Birgit Böllinger in ihrer Rezension zum Roman Jahrhundertsommer.

„Es ist eine Stärke dieses Romans, dass er Figuren nahebringt, die zu Menschen werden. Man muss sie nicht mögen, sie haben ihre Schwächen, ihre dunklen Seiten, Viktor, der Typ, der sich einfach hängen lässt, Ursula, die sich in Glückserwartung an den jeweils greifbaren Mann hängt, Magda, die ihre Schroffheit an Ellen auslebt. Doch sie werden so nah- und greifbar geschildert, dass sie förmlich aus dem Buch heraustreten. (…)
Das bewirkt auch die Sprache: Nicht literarisch überhöht, direkt, mit leisem Humor, viel Mutterwitz und dezent eingestreuten Mundart-Sprengseln. (…)
„Jahrhundertsommer“: Ein Dorfroman, ein Anti-Heimat-Roman, vor allem aber auch ein Gesellschaftsroman, der durch die Verknüpfung der verschiedenen Ebenen verschiedene gesellschaftliche Themen anspricht, ohne überfrachtet zu wirken: Alleine Magda führt uns vor Augen, was Armut, gerade auch Altersarmut bedeutet – und dass sie, sowohl in der Literatur als auch im „echten Leben“ nicht wegzuleugnen ist.“


Zusammenfalten der Zeit

Walle Sayer und die Zeit

Wenn Zeiten sich ineinanderschieben und überkreuzen – davon schreibt Walle Sayer in seinem jüngsten Band „Das Zusammenfalten der Zeit“. In der Kindheit werden letzte Brosamen aufgelesen, in der Jugend geht es laut zu und her, mit Mofas und zerbeulten Autos über Landstraßen, später dann sinniert der Lyriker über den Abschied vom Vater und dessen Sterben. Und der Frage: „Wo sind wir selbst geblieben“?

Schon einmal habe ich über Walle Sayer geschrieben, und zwar für das literaturblatt.ch; die Rezension zum aktuellen Band wurde in der orte Literaturzeitschrift, Mai 2023, veröffentlicht. Das Buch selbst ist erschienen in der Edition Klöpfer bei Kröner.

Rabe

Raben

Irgendwann, eines Nachmittags vielleicht, hob draußen ein dunkles Getöse an. Undefinierbarer Lärm. Ich stand auf, trat auf den Balkon, suchte nach der Geräuschquelle. Unten hockten schwarz berockte Geschöpfe auf einem kreisförmigen Haufen, als hätten sie etwas Überlebensnotwendiges zu bereden, so laut ging es zu und her.
Daraus entstand dieser kleine Text, den die Illustratorin Theres Rütschi treffend illustrierte.

Aus dem Alltag

Der Text ist schon einmal unter meinem Pseudonym erschienen, womöglich war es der erste, mit dem ich mich überhaupt an die Öffentlichkeit traute?

Pema Tseden

RIP Pema Tseden

Ein wichtiger tibetischer Filmemacher

Das erste und letzte Mal traf ich Pema Tseden 2007 in Peking. Da sprachen wir über seine Erzählungen, die er auf Tibetisch schrieb und selbst ins Chinesische übersetzte – ein rundlicher junger Mann mit Nickelbrille, voller Elan und Zuversicht, die beiden Welten und Kulturen, die tibetische und chinesische, in seinen Filmen und Texten schon irgendwie zusammenbringen zu können.

Vielleicht war er deshalb vielen jungen Tibetern, vor allem Filmemachern, so wichtig? Sie sahen genau hin, wenn ein neuer Film von ihm erschien, tasteten die Filme nach verdächtigen Spuren der Kollaboration ab. Integer schien er jenen, die ihn trafen. Immerhin war er der erste Tibeter mit einem Abschluss der Filmakademie in Peking. Doch später, 2016, traf auch ihn der Fluch der chinesischen Regierung; er wurde unter einem Vorwand am Flughafen in Xining verhaftet und körperlich misshandelt.

Für seine Filme, die erstmals durchweg auf Tibetisch gedreht wurden, erhielt er zahlreiche Auszeichnungen, in Hongkong wurde man bald auf ihn aufmerksam, nach Locarno wurde er eingeladen, wurde mir erzählt und von Begegnungen mit diesem unaufdringlichen, wachen Geist.

Bevor er als Filmemacher bekannt wurde, hörte ich von seinen Erzählungen und seinem Roman Tharlo. Für die Anthologie Flügelschlag des Schmetterlings bat ich den Übersetzer Franz Xaver Erhard um die Erzählung „Schneekinder“; ein wunderschönes modernes Märchen, das u.a. vom Einsickern der Moderne erzählt, denn am Ende soll das Herz der tibetischen Kultur an Ausländer verkauft werden. Um sich diesem Schicksal zu entziehen, fliehen die Kinder in die Berge, wo – so der letzte Satz – „weiß und erhaben der vergletscherte Gipfel über dem Land leuchtete.“

Als ich das erste Mal vom Tod Pema Tsedens erfahren habe, glaubte ich noch an einen Irrtum, konnte es nicht glauben, denn er war doch noch jung, viel jünger als ich, so hatte ich ihn in Erinnerung. Erst als die zweite, dritte Meldung mich erreichte …

Ein wichtiger Influencer, würde man heute sagen, ist mit ihm von uns gegangen, einer, der als Erzähler und Filmer der modernen tibetischen Kultur wichtige Impulse gab.

Weitere Infos auf Wikipedia und bei Words Without Borders.

Scheherazades Erben

Tödlicher Reigen

Lektürenotiz zu „Scheherazades Erben“ von Hussein Mohammadi

Die Hauptgeschichte ist rasch zusammengefasst: Ein Mädchen verliebt sich in einen Jungen aus dem Nachbardorf, obwohl sie bereits ihrem ungehobelten Cousin versprochen ist. Die beiden fliehen, Vater und Onkel entdecken sie schon anderntags in Kabul, der Junge wird getötet. Es sind indes die Nebengeschichten, die den Charme dieses Romans ausmachen: Eine Figur reicht den Erzählstab an die nächste weiter, und so entspinnt sich ein Fadengeflecht aus Geschichten, das sich engmaschig über Kabul legt.

Der Polizeiinspektor z.B. macht seinem alten Kampfgefährten – dem Onkel des Mädchens – einen Gefallen, nur unwillig zwar, denn mit Ehrenmorden will er nichts zu tun haben. Immerhin gebe es in Kabul mittlerweile ein Rechtssystem, grummelt er, das er selbst jedoch permanent mit Erpressungen durchlöchert. Von seinen zahlreichen falschen Entscheidungen kriegt er Knoten im Kopf, die er nicht lösen kann. Stattdessen trinkt er lieber Tee, knackt Sonnenblumenkerne und überlegt, wie er jede Situation zu seinem Vorteil ausnutzen kann.

Der Vater des geflohenen Mädchens aber – ihm bleibt wenig. Als er sich einmal gegen die Steinigung eines Mädchens wehren, ja einschreiten möchte, läuft er Gefahr, gleich selbst vom geifernden Mob getötet zu werden. Auch seine eigene Tochter kann er nicht retten vor dem Zugriff der bigotten Verwandtschaft, die auf Wiederherstellung der Ehre pocht. Wenn er mithilft, seine Tochter zu finden, so verspricht es ihm der Bruder, werde seine Tochter „nur“ getötet, nicht gesteinigt. Ein schwacher Trost, mit dem er sich nicht recht zufriedengeben will; doch irgendetwas regt sich nun ihm, auch wenn da zunächst nur ein winziges Flämmchen Widerstand in ihm lodert.

Ein weiteres, nicht minder interessantes Detail ist die Verdienstquelle des Onkels. Als Dank dafür, dass er die Nachbardörfer mit seiner eigenen kleinen Terrorgruppe vor Überfällen schützt, erhält er wertvolle Gegenstände – Schmuckstücke, Skulpturen, Truhen -, die er vor den Talibans versteckt, obwohl er sich ihnen angeschlossen hat. Später verkauft er sie für viel Geld an ausländische Experten.

Eine Geschichte, wie man sie aus Afghanistan kennt, aus den Medien, aus der Literatur. Ein Klischee? In Kabul tragen sich viele solcher Geschichten zu, es ist nur eine von vielen – mit diesen fast lakonischen, ja geradezu desillusionierenden Worten endet der Autor diesen tödlichen Reigen.

«Morgen wird sich diese Geschichte in ganz Kabul herumgesprochen haben. Sie wird zu einer weiteren Geschichte geworden sind, die dieses Land zu erzählen hat.»

Hussein Mohammadi: Scheherazades Erben. Aus dem Persischen von Sarah Rauchfuß. Edition Bücherlese, 2023, 176 Seiten.