Hong Kong Street Art


Graffitis entdeckt in schulterbreiten Passagen zwischen Wolkenkratzern, an Fabrikwänden, an LKWs – in Sheung Wan, Central, Sham Shui Po und Wong Chuk Hang. Nie zuvor bemerkt, aber einmal die Augen geöffnet, waren sie überall.

Und wie kein anderer hat der Autor Leung Ping-kwan die Stadt zu dechiffrieren gewusst:

The city is always the colour of neon

Secret messages hidden there

The pity is only, you’re wearing a mask

No way to know if it’s you that’s speaking.

Fruit from many different places

Each with its own tale to tell

In newly dressed shop windows

In your little cafes I bump into

Friends I haven’t seen in years

Between pickles and green tea porridge

A cup of tea has drunk away a lifetime

Have any spare change?

There are plenty of gods on sale in the market

She cherishes the memory of her last life’s rouge

He likes the celadon green of city dust

So sing me a song

On the windling mindnight street

Yesterday and us, we’ve come face to face

But however we try; we can never recall today

(Cityscape, 2003, translated into English by Brian Holton; published in Leung Ping-kwan: Fly Heads and Bird Claws; Hong Kong, MCCM Creations; 2012)

Himmel über Saigon

Die Geflüchteten versammelt acht Erzählungen, angesiedelt in den Siebziger- und Achtzigerjahren. Sie erzählen von Menschen, die in den Monaten und Jahren nach dem Fall von Saigon aus Vietnam geflüchtet sind, erzählen von schmerzlichen Rückblicken und der Unmöglichkeit anzukommen, aber auch von der Begleichung noch offener Rechnungen, die aus der alten Heimat herrühren.

Die Charaktere in den Erzählungen kennt man zum Teil bereits aus Viet Nguyens Roman Der Sympathisant, hier tauchen sie wie auf einer Bühne erneut auf und werden in einem anderen Licht beleuchtet. In der Erzählung „Kriegsjahre“ wird beispielsweise vieles angerissen, was im Roman ausgeführt wurde. In anderen Erzählungen wiederum treten Figuren auf, die in Der Sympathisant an den Rand gedrängt wurden.

Das Thema in „Transplantation“ meint man allerdings anderswo schon gelesen zu haben. Der Empfänger einer Leber findet den Menschen, der ihm das lebensrettende Organ gespendet hat. Im Laufe der Erzählung stellt sich indes heraus, dass es sich um ein Missverständnis handelt, schließlich leben in den USA unzählige Vietnamesen mit Namen Vu, es entsteht eine falsche Dankbarkeit, die wiederum in Erpressung mündet. Die Geschichte und deren Ende bleibt relativ absehbar.

Um eine gescheiterte Ehe geht es in „I’d love you want me“; in „Die Amerikaner“ versinkt ein Vater, der seine Beteiligung im Krieg in Vietnam nie bereut hat, in Selbstmitleid, weil seine Tochter ihn einfach nicht verstehen will. In „Vaterland“ besucht die vermeintlich reiche ältere Schwester die zurückgebliebene erste Familie des Vaters in Vietnam; der vorgegaukelte Reichtum wird spät erst entlarvt, als die jüngere Halbschwester die Ältere bittet, sie mit in die USA zu nehmen. So verflüchtigen sich Illusionen im weiten Himmel über Saigon.

Die Erzählungen lassen sich als Erweiterung des Romans lesen, in diesem Panoptikum erfahren sie allerdings keine Zuspitzung, die Figuren bleiben blass und die Plots skizzenhaft – die kurze Form scheint Viet Than Nguyen weniger zu liegen. Gleichwohl stehen die Texte stellvertretend für die Asian-American Literature – mit der für diese Literatur typischen Beschreibung von Zerrissenheit, einer zum Teil traumatischen Vergangenheit und der beständigen, quälenden Suche nach einer Identität.

Viet Than Nguyen: Die Geflüchteten. Aus dem Amerikanischen von Wolfgang Müller. Blessing-Verlag, 2018.

 

Weitere Artikel über Vietnam:

Vietnam fürs Handgepäck

Endlich ist das Glück

 

 

Lärm? Überhören!

Kann man sich an Lärm gewöhnen? Ich jedenfalls nicht. Darüber habe ich für Ute Freundl gebloggt. Der Lärm kommt nicht nur von außen, sondern tobt auch in unserem Kopf. Ihm ist kaum beizukommen, er nervt, er erstickt alles mit einem Lärmteppich. Da bleibt nur Galgenhumor, autogenes Training oder Qi Gong.

Alleine reisen?

Besser zu zweit oder alleine reisen? Die Frage stellte sich mir nie, denn allein unterwegs in Asien war zwar nicht immer ungefährlich, hatte aber durchaus seine Vorteile. So fühlte ich mich freier, unabhängiger und empfänglicher für die Kulturen und Menschen, denen ich begegnete.

Hanna Girard hat mich für Radio X zu meinen Reisen befragt und das Interview aufgenommen.

Die Lyrik von Iason Depountis

Als ich in Korfu den Namen Iason Depountis erwähne, der hier geboren wurde, ernte ich selbst in der Lesegesellschaft einen überraschten Blick. Schließlich findet die Bibliothekarin die Titel im Computer. Und während sie die Bücher zusammensucht, lasse ich meinen Blick über den Boden und die Regale schweifen, in denen vor lauter Wurmstichigkeit die Buchrücken abfallen, sich die Gänge der Würmer auf den Buchblöcken abzeichnen, inbesondere die Autoren unter M wie Machiavelli sind davon betroffen.

Beglückt betrachte ich die Bücher vor mir, manche Seiten sind noch nicht einmal aufgeschnitten. Die Vielfalt des Oeuvres sticht mir trotz Unkenntnis des Griechischen ins Auge, inmitten von Erzählungen prangen Zeichnungen, ich entdecke Theaterstücke, welche Rolle spielten die Autoren, deren Porträts abgebildet sind?

Diesem Besuch in Korfus Lesegesellschaft ging eine Lesung mit Dimitris Depountis voraus, der an einem lauen Sommervormittag die Fragmente und Reflexionen seines Vaters anslässlich dessen 10. Todesjahres vorstellte. Wie elektrisiert ging ich nach Hause. Und vergrub mich in die Lyrik Iason Depountis‘. In einem Gespräch beantwortete Dimitris Depountis die vielen Fragen, die mir beim Lesen kamen. Das Interview ist auf dem literaturblatt.ch von Gallus Frei-Tomic nachzulesen.

Kieselsteine brauchen Zeit

Zum Schwäbischen Literaturpreis hat es nicht gereicht, aufgenommen wurde meine Ezählung „Kieselstein“ dafür in die Anthologie „Schönheit“. Peter Fassl schreibt in seinem Vorwort dazu: „Was soll eine fünfzigjährige Frau machen, die von ihrem beruflich erfolgreichen Mann für eine jüngere Partnerin verlassen wird? Fitness, Meditation, gesunde Ernährung, Schönheitkorrekturen – aber Zeichen der Trauer und Entttäuschung bleiben.“

Erschienen ist die Anthologie im Wißner-Verlag, Augsburg.

Workshop: Von der Idee – übers Schreiben – zum Buch

Einführung zum Thema: „Ein Buch schreiben“.

Sie möchten ein Buch schreiben, und Sie haben eine Idee, nur: Wie schreibt man eigentlich ein Buch? Und lassen sich Ihre Ideen überhaupt zwischen zwei Buchdeckel packen? Beispiele und konkrete Übungen zeigen Ihnen, wie Sie Schritt für Schritt mit Ihrem Schreibvorhaben vorankommen können.

Wir diskutieren Schreibstrategien und -techniken ebenso wie Fragen nach dem Aufbau einer Handlung oder der Niederschrift eigener Reflexionen. Von der notwendigen Überarbeitung eigener Texte wird ebenso die Rede sein wie von Lust und Frust beim Schreiben selbst. Anregungen, Empfehlungen und handfeste praktische Informationen über das Schreiben eines Buches runden den Kurs ab.

„Lassen Sie mich Ihnen erzählen, dass mich der Kurs immer noch täglich in Gedanken, Bildern, und nachhallenden Worten begleitet. Er war intensiv, lebendig, lustreich und es schien mir fast, als würden Sie zu uns allen als Schriftsteller sprechen. Heroisch und einzigartig diese für mich wertvollen Momente. Dafür danke ich Ihnen herzlich!“
Petra Pisler

„Jetzt, wo ich alles Revue passieren lasse, sehe ich, wie viele gute Tipps Sie uns mit auf den Weg geben konnten. Dadurch werde ich in Zukunft gezielter Arbeiten können.“
Thomas Schweizer

Wortschatz

Schreibworkshops für Kinder

Leitung: Alice Grünfelder und Jaël Lohri.

Die Schreibwerkstatt «Wortschatz» will Kinder von 8 bis 12 Jahren, die nicht nur in der Schule gerne und überdurchschnittlich gut schreiben, sondern auch in der Freizeit, spielerisch, aber gezielt fördern.

Wir begleiten diese talentierten kleinen Schreiberinnen und Schreiber an drei aufeinander folgenden Nachmittagen auf der Suche nach ihrem je eigenen Wortschatz und helfen ihnen, die Kostbarkeiten zu bergen. Dabei sollen die Kinder jederzeit ihrer Freude am Umgang mit der Sprache Ausdruck geben und dabei ihr Sprachbewusstsein nachhaltig schärfen können.
Den Abschluss und Höhepunkt der Schreibwerkstatt bildet eine Präsentation der Arbeiten im Literaturhaus, zu der die Kinder ihre Eltern, Verwandten und Freunde einladen können.
Anmeldung und Informationen im www.aargauer-literaturhaus.ch
Nächster Termin: 24.4.-26.4.2019

Fotos und Texte vom letzten Workshop im April 2015:

Rondells

Er schaute zu den Vögeln.
Er wollte auch so hoch oben sein.
Er schaute zu den Vögeln.
Er war noch zu klein, um zu fliegen.
Er hatte Sehnsucht nach dem Himmel.
Er wollte auch über Städte fliegen.
Er schaute zu den Vögeln.
(Noe, 10 Jahre)

Du irrst dich, wir hätten viel erreichen können.
Doch du warst zu müde.
Du irrst dich, wir hätten viel erreichen können.
Doch du hast aufgegeben.
Doch du hattest nicht genug Mut.
Doch du wolltest nicht mehr.
Du irrst dich, wir hätten viel erreichen können.

Nein, das ist inakzeptabel.
Ich mache nicht mit.
Nein, das ist inakzeptabel.
Ich habe es mir lange genug überlegt.
Es kann nur schief gehen.
Ich habe mich entschieden.
Nein, das ist inakzeptabel.

(Beide Rondells von Malin, 10 Jahre)

Nächster Termin: April 2017

Wenn nichts mehr geht … oder doch?

Wien? Ohne Wien.

Wien? Welches Wien?

Wien? Verrutscht.

Wien? Ausgeblutet.

Wien? Eine Unwirklichkeit.

Wien? Zerschunden.

Wien? Leergeräumt. Ein Tosen oben, ein Dröhnen unten, dazwischen Stille. Scherbenwelt, Trümmerbruch, Geisterstadt. Alle Regeln aufgehoben, keine Stadt, keine Gesetze.

So oder so ähnlich beginnt Autolyse. Erzählungen vom Ende von Karin Peschka. Was auch immer geschehen war, es hatte viel Schaden angerichtet. Auch in der Wohnung einer Rentnerin, die trotz bester Vernetzung im Alter, trotz Smartphone und Internet nun eingesperrt auf ihren Tod wartet. Denn „draußen nach wie vor Getöse, vom Himmel fallende Wut.“ Der Brand fegte durch Straßen, höhlte Häuser aus. Autos liegen quer übereinander, die Alarmanlangen verstummten erst nach ein paar Tagen, die Warnblinkanlagen erlöschten irgendwann. Zwischen Brüchen und Rissen flackert das Straßenlicht.

Was ist passiert?, will eine andere wissen, steigt aus dem Auto, und plötzlich bewegt sich der Boden, ein Ruck, sie stürzt. „Darüber ein gelblicher Himmel mit blauroten Lücken.“ Ein Kapitän fährt auf dem Fluss hinein in die Stadt, in ein Dunkel – wo einst optische Verschmutzung den Himmel hell erleuchtete, flockt nun der Nebel, das Ufer ist wenig mehr als eine Skizze. Ein anderer hat vier Finger verloren, weil ein Fassadenteil direkt auf seine Hand fiel, glatter Schnitt. „Trümmerte es, polterte und hallte nach. War wieder still. So ging es die ganze Zeit.“

Katastrophenvorsorge versagt angesichts dieses überwältigenden Etwas, das keine der Figuren in Worte zu fassen vermag. Ein Mäandern um die konkrete Benennung, und jeder nennt es anders. Zumal man damit beschäftigt ist herauszufinden, wie man mit (dem) Nichts überlebt. Und die irrlichterne Hoffnung, dass es nur ein schlechter Traum sei, dass schon bald Flugblätter abgeworfen werden würden, die einem sagen, wohin, mit Überlebenspaketen an kleinen Fallschirmen.

Die anderen? Menschen schon auch, aber selten, sie irren herum, eine aussterbende Spezies. Aus dem Rauch der Stadt ertönt fernes Hundegebell. Tiere erobern sich die Stadt zurück, hausen in Ruinen wie in anderen Katastrophengebieten, nachzulesen auch in Adolf Muschgs neuem Roman Heimkehr nach Fukushima. Dort sind es Wildschweine, die sich in einem Haus niedergelassen haben und es gegen die Rückkehrer verteidigen.

Die Tierwelt ist bei Karin Peschka nicht nur Begleiterscheinung, sondern Kommentar zu menschlichem Versagen. Einer stellt um des Überlebens willen Fallen auf, dreht einem Vogel rasch den Hals um, bevor das Geschrei den Aufenthaltsort verrät. Anderswo sind die Aquarien in einer Tierhandlung zerbrochen, die Tiere verenden in den Scherben, Reptilien sind geflohen.

In der längeren Erzählung „Ich“ wühlt sich jemand durch die Stadtlandschaft, zuerst auf der Suche nach Medikamenten gegen eine Autoimmunerkrankung, später nach Möglichkeiten der titelgebenden Autolyse, „denn wenn es niemanden mehr gibt, der dich begraben kann, musst du dich selbst darum kümmern.“ Zuvor aber die Krankheit besiegen, ein Geflecht aus Gängen durchwuchert den Körper, krampfige Schmerzen, eine Faust im Oberbauch, damals gab es noch Hausärzte und Spritzen, doch es wurde trotzdem alles schlimmer, dann aber Rettung, und die Krankheit ebbte ab.  Jetzt aber war ohnehin alles gleichgültig, das Überleben ungewiss, ein Experiment vielleicht nur diese Katastrophe.

© Taha Alkadhi

Karin Peschka verweist mich in eine Düsternis, die zu durchringen reizvoll ist, weil sie sprachlich virtuos glitzert. Das erste Mal ist mir die Autorin mit zwei Texten in der Anthologie „Die Sachensucherin“ aufgefallen. Dort war es ein Traktorfahrer, in dessen Dreck eine Motorradfahrerin ausrutscht. Ein kurzer, harter Aufprall – die Sätze knallen beim Lesen im Ohr. Und Tiere bilden eine seltsame Kulisse, als seien sie das Fragezeichen zum Text. In „Am Morgen, am Pier“ entblösst sich gleichsam die Stadt, denn ein nackter Mann liegt da und fordert Aufmerksamkeit ein. Später dann freute ich mich, dass „Wiener Kindl“ – der dritte Teil von Autolyse Wien -, 2017 mit dem Publikumspreis des Ingeborg-Bachmannpreises ausgezeichnet wurde. Ein Kind überlebt in den Ruinen Wiens, vergessen, verlassen von seiner Familie, aufgenommen in ein Rudel Hunde – kein Text, der einem breiten Publikumsgeschmack entspricht, möchte man meinen, deshalb freut mich der Preis umso mehr, denn er unterschätzt nicht mehr länger das Publikum, von dem so viele Verlage behaupten, sie wüssten, wie es ticke.

„Ich habe in meinen Texten den Hang zum Dunklen, mich interessieren Grenzerfahrungen“, sagt Karin Peschka in einem Interview. Das ist aber nicht alles, warum nur habe ich beim Lesen das Gefühl, die Autorin will dem Dunkel etwas Licht abringen?

Wien? Ausgelöscht. Das einzige Licht von einem fernen Vollmond.

Karin Peschka: Autolyse Wien. Erzählungen vom Ende. Otto Müller Verlag, 2017